Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Freiburg
In der Zeit der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland und den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten Millionen von ZwangsarbeiterInnen unter zumeist inhumanen Bedingungen eingesetzt. Durch die Gründung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" am 2. August 2000 wollten die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen ein Zeichen ihrer historischen und moralischen Verantwortung für diese Geschehnisse setzen und die Grundlage für eine finanzielle Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schaffen.
Wie in ganz Deutschland führte der Diskussionsprozess im Vorfeld der Stiftungsgründung auch in der Freiburger Öffentlichkeit zu wachsendem Problembewusstsein. Zugleich entstanden ein Bedürfnis nach Aufhellung dieses bisher vernachlässigten Kapitels der Geschichte und der Wunsch, angesichts des sich ungebührlich lange hinziehenden Ringens um die Realisierung des Stiftungsfonds mit einer eigenen Entschädigung der Stadt für ehemalige ZwangsarbeiterInnen in Freiburg Soforthilfe zu leisten.
Entschädigungsleistung der Stadt
Am 15. Mai 2001 beschloss der Freiburger Gemeinderat eine eigene Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Stadtgebiet, die unabhängig von den Leistungen durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" erfolgen sollte. Der Beschluss sah die Zahlung von 5.000 DM an alle bis dahin mit aktuellen Adressen bekannt gewordenen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Stadtkreis vor. Er stellte darüber hinaus fest, dass alle noch in der Zukunft ermittelten Personen, die Zwangsarbeit für die Stadtverwaltung selbst oder ihr zuzurechnende Einrichtungen geleistet hatten, diese Entschädigung bekommen sollten. Wie das Stiftungsgesetz berücksichtigte auch der Gemeinderatsbeschluss den Fall, dass anspruchsberechtigte Personen möglicherweise bereits verstorben waren. Dann sollten die Angehörigen die Zahlung erhalten, sofern der Tod erst nach dem 1.1.1999 eingetreten war.
Projekt zur Erforschung der Geschichte der Zwangsarbeit in Freiburg
Das führte zur Einrichtung einer Forschungsstelle beim Stadtarchiv, deren Arbeit am 1. Oktober 2000 begann. Das Ergebnis der historischen Forschungsarbeit wurde im Jahre 2003 veröffentlicht. Die Publikation brachte eine bisher unbeleuchtete Phase der Freiburger Stadtgeschichte ans Licht und bewahrte sie damit vor dem Vergesen. Die Dokumentation leistet Erinnerungsarbeit von politischer und gesellschaftlicher Dimension und versteht sich als ideelle Wiedergutmachung an den nach Freiburg verschleppten und durch Zwangsarbeit ausgebeuteten Menschen.
Recherchen des Stadtarchivs
Das Stadtarchiv wurde beauftragt, mit Nachdruck seine Recherchen zur Feststellung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Freiburg voranzutreiben. Durch Recherchen im Archiv der Moskauer Menschenrechtsorganisation "Memorial" und im Archiv für die französische Besatzung in Deutschland, durch Kontakte mit den Zwangsarbeiterstiftungen in Russland, Weißrussland, der Ukraine und Polen, sowie durch Unterstützung seitens des Büros für ungewöhnliche Maßnahmen, der Universität, einer slowenischen Zwangsarbeitervereinigung und des Internationalen Suchdiensts des Roten Kreuzes in Arolsen konnten zahlreiche noch lebende Personen mit aktuellen Adressen ermittelt werden. Weitere Fälle von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Freiburg wurden dem Stadtarchiv durch Anfragen von Einzelpersonen bekannt, die Nachweise über ihre Zwangsarbeit zur Beantragung der Stiftungsentschädigung benötigten.
Weitere Entschädigungsleistung der Stadt
In Anbetracht der großen Zahl noch lebender ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Freiburg, die das Stadtarchiv ermitteln konnte, beschloss der Gemeinderat eine
Neuauflage seiner Entschädigungsleistung. Am 25. Juni 2002 wurde ein Fonds von 250.000 EURO eingerichtet, aus dem alle schon bekannten oder zukünftig noch festgestellten ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die bei der Stadtverwaltung oder ihr nahestehender Einrichtungen eingesetzt gewesen waren, einmalig 2.500 Euro erhalten sollten. Jeweils 1.250 Euro sollten jene bis zum 31.12.2002 ermittelten Menschen bekommen, die bei privaten oder nicht-städtischen Unternehmen und Dienststellen im Stadtkreis Freiburg Zwangsarbeit geleistet hatten. Die Auszahlung der Entschädigung wurde vom Nachweis des Zwangsarbeitseinsatzes durch das Stadtarchiv abhängig gemacht. Grundlagen für diese Bestätigungen durch das Stadtarchiv waren entweder das Vorkommen der Antragsteller in der Datenbank des Stadtarchivs, die fast 5.000 Namen umfasst, oder die sonstige Nachprüfbarkeit von Angaben der sich meldenden Personen.
Bis zum Ablauf der Meldefrist am 31.12.2002 konnte das Stadtarchiv in 237 Fällen die Berechtigung zum Bezug der städtischen Entschädigung bestätigen. In weiteren 110 Fällen, die über die russische Zwangsarbeiterstiftung gemeldet wurden, ist die Überprüfung noch nicht abgeschlossen. Leider musste eine große Anzahl von Entschädigungsanträgen zurückgewiesen werden, weil sich herausstellte, dass sie sich nicht auf Freiburg im Breisgau sondern auf namensgleiche Orte in Deutschland bezogen oder dass die Einsatzorte nicht im Stadtkreis sondern im weiteren Umland der Stadt lagen.
Umfang des Zwangsarbeitseinsatzes in Freiburg
Mit Hilfe der im Stadtarchiv liegenden Listen mit Namen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Freiburger Betrieben, die 1946 auf Befehl der französischen Besatzungsmacht angefertigt wurden, sind 4333 Personen eindeutig belegbar. Weitere rund 700 Personen können durch andere Quellen als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Freiburg nachgewiesen werden. Geschätzt wird, dass insgesamt rund 6.500 Kriegsgefangene und Zivilisten während des Krieges nach Freiburg verschleppt und zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. Darunter waren auch nicht wenige Kinder und Jugendliche.
Die Verteilung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vor Ort war Sache des Arbeitsamtes Freiburg, dessen Bezirk weit über die Stadtgrenzen hinausreichte. Sie verstärkten die Belegschaften von Unternehmen, die kriegswichtige Güter herstellten, um ihre Produktion zu steigern oder um Lücken, die durch Einberufungen zum Militärdienst entstanden zu schließen. Es gab in Freiburg zahlreiche Unternehmen, deren Produkte für die Kriegswirtschaft von Bedeutung waren oder die ihre Produktion mehr oder weniger freiwillig auf kriegswichtige Güter umstellten.
Mit Zwangsarbeit wurden auch kriegsbedingte Personalengpässe bei öffentlichen Einrichtungen (z.B. Kraftwerke, Forstwesen, Reichsbahn, Kliniken) und landwirtschaftlichen Betrieben überbrückt. Freilich gelang es auch einer bemerkenswert großen Zahl von Privathaushalten und kleinen Handwerksbetrieben mit welcher Begründung auch immer die Zuteilung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter als Hilfskräften zu erwirken.
Industriebetriebe in Freiburg, bei denen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einen erheblichen Teil der Belegschaft bildeten
- Rhodiaseta, Deutsche Acetat-Kunstseidenfabrik AG
- Stolberger Zink, Blei- und Zinkerzbergwerk in Kappel
- Fortschritt GmbH., Büro- und Einrichtungsfabrik
- Mez AG, Garnfabrik
- Spohn & Knoell KG, Chemische Werke und Sackfabrik
- Raimann KG, Maschinenfabrik und Gießerei
- Hellige & Co., Apparatebau
- Wilhelm Zeh KG, Elektrotechnik
- Süddeutsche Stahlbaugesellschaft („Südstahl“) mbH
- Adolf Mast, Tiefbau
- Geis & Bauer, Bauunternehmung
- Rheinische Tachometer-Anstalt Münzner & Co.
- Theodor Kromer KG, Sicherheitsschlösser und Machinenbau
- Fritz Kuhnert, Optische Anstalt
- Freiburger Maschinenfabrik GmbH
- Daimler-Benz, Kraftfahrzeuge
- Wego-Werke Rinklin&Winterhalter
Auch in diesen Betrieben waren in großer Zahl Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt:
- Stadtverwaltung Freiburg und ihr nahestehende Einrichtungen (Forstamt, Gartenamt, Stadtwerke, Tiefbauamt, Mundenhof, Stiftungsverwaltung etc.)
- Albert-Ludwigs-Universität (vor allem Universitätskliniken)
- Reichsbahn (Hauptbahnhof, Güterbahnhof, Bahnmeistereien, Bahnbetriebswerk, Kraftwagenbetriebswerk, Rangierbahnhof)
Viele Unternehmen verfügten über firmeneigene Lager, in denen ihre Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter untergebracht waren. Teilweise handelte es sich dabei um beschlagnahmte Hotel- und Gaststättenbetriebe, teilweise um eingezäunte Barackenlager. Aufgrund der institutionalisierten Rassentheorie der Nationalsozialisten wurden so genannte "Westarbeiter" aus den besetzten Ländern Westeuropas (Frankreich, Belgien, Niederlande) generell besser behandelt als die am unteren Rand der Werteskala rangierenden "Ostarbeiter". Während die meisten "Westarbeiter" in Hotels, Gasthöfen und Pensionen, manche auch in über das Stadtgebiet verstreuten Privatquartieren, untergebracht waren, wurden "Ostarbeiter" in der Regel in bewachten Lagern eingesperrt.
Menschenunwürdige Bedingungen herrschten im so genannten "Ostarbeiterlager" an der Habsburgerstraße (damals Adolf-Hitler-Str. 28-32), einem Gemeinschaftslager der Freiburger Betriebe auf dem Gelände des ehemaligen Werks 2 der Mez A.G. Die Verwaltung dieses mit Stacheldraht umgebenen großen Lagers, in dem miserable hygienische Zustände, Hunger und Kälte herrschten, wurde von der Theodor Kromer K.G. wahrgenommen. In diesem Lager waren durchweg Zwangsarbeiter aus Osteuropa zusammengefasst. Sie marschierten von dort aus täglich unter Bewachung zu ihren Einsatzorten.
Die Totalzerstörung zahlreicher Betriebe beim großen Luftangriff auf Freiburg am 27.11.1944 hatte unvermeidlich erheblichen Einfluss auf das Zwangsarbeiterwesen.
Die straffe Organisation war nicht länger durchzuhalten. Es kam zu Versetzungen in andere Unternehmen und andere Orte. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden zu Aufräum- und Schanzarbeiten eingesetzt. Eine Reihe von ihnen nutzte die Gelegenheit zur Flucht und Selbstrepatriierung.
Situation nach Kriegsende
Für die meisten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiteraber kam die Befreiung erst beim Einmarsch der Franzosen im April 1945. Sie wurden als "Displaced Persons" (französisch: Personnes Déplacées) registriert und in Lagern zusammengefasst. Um ihre Versorgung und Repatriierung kümmerten sich der "Service des Personnes déplacées", eine Abteilung der Militärverwaltung, und eine zu diesem Zweck gegründete Organisation der Vereinten Nationen, die "United Nations Relief and Rehabilitation Administration" (U.N.R.R.A.). Während sich die Repatriierung im Falle einiger Nationalitäten aufgrund der teilweise noch bestehenden Unklarheit über die politische Lage in ihren Heimatländern (z.B. Polen) und über ihre nunmehrige Staatsangehörigkeit im durch neue Grenzziehungen veränderten Nachkriegseuropa (Litauer, Letten und Esten) über Jahre hinzog, kam die Rückführung der Menschen aus Westeuropa sofort in Gang. Auch die Sowjetunion sorgte dafür, dass bereits bis Ende 1945 fast alle ihre Staatsbürger und Menschen aus inzwischen von ihr besetzten Gebieten abtransportiert waren. Viele von ihnen wurden als Kollaborateure der Deutschen verdächtigt und mussten mit jahrelanger neuer Zwangsarbeit oder Militärdienst dafür büßen.
Die Erfahrungen der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren für viele von ihnen mit bleibenden körperlichen und seelischen Schäden verbunden, die ihren weiteren Lebensweg beeinflussten. Die Zwangsarbeit war ein traumatisches Erlebnis, das prägte und belastete, auch dadurch dass es individuelle Lebensplanungen vernichtete. Für das diesen Menschen angetane Unrecht kann es keine Wiedergutmachung geben. Wir können nur durch mehr oder weniger symbolische Gesten die Anerkennung unserer Mitverantwortung zum Ausdruck bringen. Wir können und müssen der Opfer gedenken und um Verzeihung bitten. Das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mahnt uns, Würde und Selbstbestimmung aller Menschen zu achten und für sie einzutreten.