pARTicipate! Künstlerische Experimentierräume im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung
13. März 2023
Nachhaltig zu handeln hat sehr stark mit Vorstellungen von Zukunft zu tun und mit der Frage, wie wir als Gesellschaft der Vielheit zusammenleben wollen. Dabei kommt dem ‚Co-Produzieren‘ und ‚Co-Kreieren‘ von Wissen und Erfahrungen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur_innen eine wichtige Rolle zu. In vielen künstlerischen und kulturellen Projekten gibt es vielfältige Ideen für das Eröffnen von Räumen, in denen gemeinsam Visionen und Vorstellungen von einer wünschenswerten Zukunft ausgehandelt und erfahrbar gemacht werden, um vom Wissen ins Handeln zu kommen. Das künstlerisch-kulturelle Experimentieren nimmt dabei eine wichtige Rolle ein.
Im Zentrum des Diskursraums standen Praxisberichte aus lokalen und überregionalen Projekten und der Erfahrungsaustausch: Worin liegen Chancen, Potenziale und Herausforderungen von Partizipation und transdisziplinärer Zusammenarbeit in künstlerischen Prozessen?
Einführend stellten Katharina Anzengruber und Elke Zobl (Interuniversitäre Einrichtung Wissenschaft & Kunst, Paris-Lodron Universität Salzburg/Universität Mozarteum Salzburg) „Räume kultureller Demokratie” vor: ein transdisziplinäres Forschungsprojekt zur Entwicklung experimenteller Vermittlungsräume am Beispiel von Klimawandel und Nachhaltigkeit. In den temporären Experimentierräumen im öffentlichen Raum, an Schulen und im Museum arbeiteten Menschen aus den Bereichen Kunst, Kultur und digitale Medien, Bildung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Das Sammeln und Erzählen von Geschichte(n) mit Zukunft zieht sich als ein roter Faden durch das gesamte Projekt, ebenso ‚spielerische‘ Zugänge, um Nachhaltigkeit erfahrbar zu machen und zum Mitgestalten einzuladen. Als Beispiel stellten Katharina Anzengruber und Elke Zobl gemeinsam mit dem anwesenden Münchner Künstler_innen-Duo Stephanie Müller und Klaus Erika Dietl das Format „Pop-Up Erzähl-Labore” vor. An verschiedenen Orten im öffentlichen Raum gestalteten die Künstler_innen künstlerisch-experimentelle Begegnungsorte, indem sie einen als Tisch ausklappbaren Rucksack aufbauten. Bestückt mit Recyling-Gestaltungsmitteln und innovativen Naturmaterialen regte dieser Passant_innen zum Tüfteln, Experimentieren und Erzählen an. Die Erfahrungen aus der künstlerischen Praxis flossen in Form von Audioprotokollen der Künstler_innen in das Forschungsprojekt ein.
Abschließend fassten die Referentinnen einige übertragbare Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Experimentierräumen zusammen:
Möglichkeit für Begegnungen unterschiedlicher Menschen auf Basis von Freiwilligkeit und für Austausch über persönliche Erfahrungen zu Fragen eines nachhaltigen Lebens
Verständnis von Kunst als kommunikativem Prozess und sozialer Praxis
Voraussetzungen der Teilhabe: Offene Räume, Ressourcen, ohne professionelles Training und finanzielle Mittel möglich, Barrierefreiheit
Möglichkeiten, sich zu vernetzen und Bildung längerfristiger Partnerschaften: braucht Zeit sowie Benennung von Rahmenbedingungen, Barrieren und institutionellen Hierarchien
Spannungsfeld zwischen vielstimmigen, ergebnisoffenen Zugängen und Konventionen im Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb
Potenzial: um Zusammenschluss von Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft und gemeinschaftliche Transformationsprozesse zu initiieren
Künstlerische Experimentierräume sind auch Bestandteil des Kulturlabors. Über eine Ausschreibung hatte das Kulturamt 2022 zu Experimenten aufgerufen, die neue Formen in der Kreation, Distribution und Präsentation von Kunst und Kultur mit Fokus auf Nachhaltigkeit ausprobieren. Freiburger Kunst- und Kulturschaffende aus vier von neun ausgewählten Experimenten gaben kurze Einblicke in ihre Projekte:
Karin Schickinger (Stadtteilzentrum Vauban Haus 037) und Franziska Braegger (Theater R.A.B.) stellten das partizipative Theaterprojekt „Revue Vaubanesque“ vor, das mit einer Gruppe von Bewohner_innen des Stadtteils Vauban zum Thema Soziale Nachhaltigkeit gearbeitet hat.
Den Fokus auf Vernetzung legt das Projekt „Initiative Freie MusikSzene #1 – frei.vernetzt.nachhaltig“, das Astrid Wegner und Katharina Schmauder (IFMS) vorstellten.
Die vorgestellten Projekte und Praxisansätze dienten im zweiten Teil der Veranstaltung als Ausgangspunkt, um in thematischen Austauschrunden Potenziale und Herausforderungen künstlerischer und kultureller experimenteller Praxen auszuloten und Förderpraktiken und Fördermöglichkeiten anzudiskutieren. Die wichtigsten Ergebnisse aus den Kleingruppen sind hier zusammengefasst:
Begegnung: Künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum
Mit: Stephanie Müller und Klaus Erika Dietl, München (mehr Infos zu den Künstler_innen gibt es hier)
Partizipation und Co-Creation ermöglichen Spontanität, Gesprächsanlässe, Kommunikation zwischen unterschiedlichen Akteur_innen. Bei der ergebnisoffenen Interaktion mit Publikum findet eine Umkehrung bzw. Mischung von Expertentum und Besucher_innen statt. Dabei nicht alles in der Hand zu haben und kontrollieren zu können, kann als Chance gesehen werden.
Voraussetzungen:
Netzwerke (künstlerisch und sozial)
Geteiltes Wissen
Bereitschaft, sich auf offene Prozesse einzulassen, die Zeit brauchen
Räume, um z. B. Gäste unterzubringen
Genehmigungspraxis kennen (Anmeldung als Demo/Versammlung bedeutet z.B. einfachere Genehmigung und Polizeischutz)
Co-Produktion: Unterstützung auch bei nicht-künstlerischen Fragen (Finanzen, Versicherungen, Infrastruktur etc.)
Förderbereich: Paritätische Förderung, Verteilung von Mitteln an alle; Flexibilität bei der Abrechnung, da sich viele Posten nicht in ein starres Abrechnungssystem pressen lassen.
Herausforderungen:
heterogene Zusammensetzung von Gruppen, Beteiligten und Lebenswelten
in Zusammenarbeit mit Institutionen: Klärung der Erwartungshaltungen; Institutionen müssen aushalten, dass nicht alles vom Prozess dokumentiert wird
Räume öffnen: Prozessorientierte Partizipation
Mit: Karin Schickinger (Stadtteilzentrum Vauban Haus 037) sowie Birgit Heidtke und Kassandra Hammel (Feministische Geschichtswerkstatt)
Kultur muss zu den Menschen kommen, Zugang und Partizipation ermöglichen (Förderung Stadtteilkultur)
Zusammenarbeit mit Expert_innen (z. B. Leichte Sprache), einfache Lösungen finden (pragmatisch), verschiedene Sinne ansprechen (visuell, auditiv)
Herausforderungen:
Nicht-etablierte Räume brauchen Anlaufzeit
Partizipative Kunstformate sprechen deutlich mehr Frauen an
Neue Allianzen: Vernetzung und Co-Creation
Mit: Astrid Wegner und Katharina Schmauder (IFMS) sowie Graham Smith und Feline Struckmann (Junges Theater Freiburg)
Räume bereitstellen
Jugendliche bei kulturplanerischen/künstlerischen Prozessen mit einbeziehen, um Nachhaltigkeit zu schaffen
den ländlichen Raum mitberücksichtigen
Wunsch nach Verstetigung der durch das Kulturlabor entstandenen Räume
Geschichte(n) ‚mit Zukunft‘ erzählen und transdisziplinäre Formate und Kooperationen an der Schnittstelle von Forschung und Praxis
Mit: Katharina Anzengruber und Elke Zobl („Räume kultureller Demokratie“, Salzburg)
Es besteht ein Bedürfnis nach experimentellen/mobilen Räumen (Pop-up-Formate).
Chancen: auf unterschiedliche Weise über Thema Nachhaltigkeit sprechen, Perspektivwechsel
Forschungsprojekt wertet Erfahrungen hinsichtlich der Übertragbarkeit von Formaten aus; Ziel sind Handlungsanregungen, Wissensteilung und Bereitstellung von Materialien, um Prozesse der Co-Produktion zu initiieren (z.B. Bildkarten, um ins Gespräch zu kommen)
Abschluss
Zum Abschluss wurden Themen und Bedarfe der Teilnehmenden gesammelt, hier eine zusammengefasste Auswahl der Aussagen:
Kunst- und Kulturbegriff reflektieren/hinterfragen
Durch Kunst das Bild von Stadt und von Zusammenkommen ändern
Das Thema Nachhaltigkeit an alle bringen, egal welchen Hintergrunds und Alters
Potenzial der Jugend an Kunst- und Kulturthemen anbinden, auch über Social Media; in Ausbildungen ansetzen, um jungen Menschen Lust auf Austausch, das Teilen von Wissen und Ressourcen zu machen
Zusammenführen von Generationen, Ermöglichen von heterogenen Gruppen (Alter, Einkommen, Bildung)
Kunst und Kultur zu den Menschen bringen, wenn sie nachhaltig sein soll, mit soziokulturellen Projekten in die Stadtteile gehen
Physischer Raum ist unabdingbar für künstlerische Prozesse und wird dringend benötigt, auch im öffentlichen Raum
Kunstschaffende einbeziehen zu stadtbrisanten Themen
Barrieren abbauen; auch in der Antragsstellung, z. B. Anträge (auch) auf Englisch zulassen
blinde Flecken in der Förderung auftun
mehr Fördermaßnahmen für kollaborative Projekte
mehr Förderung für Stadtteilkultur
Ressourcen Zeit und Personal fehlen
Für Nachhaltigkeit braucht die Gesellschaft vor allem einen neuen Zugang zum Thema Zeit
bei Projektförderung Freiräume (inhaltlich, zeitlich) mitdenken
Neue Fördermodelle „Kunst im öffentlichen Raum“, unkonventionelle Kunstorte fördern
Ressourcen für Nachhaltigkeit von Projekten und Freischaffenden
in jeglicher Hinsicht Räume schaffen für Experimente; weiter an den experimentellen Themen arbeiten
Interdisziplinarität fordern und fördern
Einladungen durch das Kulturamt fortführen und damit Austausch- und Begegnungsräume schaffen; mehr Räume für vertiefende Diskussionen und Vernetzung
transdisziplinäre Vernetzung zwischen Akteur_innen; wie nachhaltig Räume nutzen, die gemeinsam gestaltet werden? Wissen um bürokratische Hürden teilen
Austausch zwischen Förderinstitutionen und Freischaffenden: Welche Zwänge, Schwierigkeiten gibt es jeweils? Welche Möglichkeiten?
Diversität, Vielfalt der Perspektiven (auch) im Kulturlabor, (auch) in Projekten