Gender Budgeting

Gleichstellungsorientierte Haushaltssteuerung in Freiburg

Nach einer Definition des Ministerrats der Europäischen Union aus dem Jahre 2004 ist "Gender Budgeting eine Anwendung des Gender Mainstreaming im Haushaltsprozess", also ein finanzpolitisches Instrument des Gender Mainstreamings. "Es bedeutet eine geschlechterbezogene Bewertung von Haushalten und integriert eine Geschlechterperspektive in alle Ebenen des Haushaltsprozesses. Durch Gender Budgeting werden Einnahmen und Ausgaben mit dem Ziel restrukturiert, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern." (Quelle: EG-S-GB 2004, RAP FINprov. 2, S. 11.6.).

Budgeting (engl.) bedeutet Haushaltsplanung, d.h. die Planung der Einnahmen und Ausgaben. Dabei geht es um die politisch wichtigen, öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Mit dem Begriff Gender Budgeting wird international die geschlechterdifferenzierte Analyse der öffentlichen Haushalte bezeichnet (BMFSJ). Gender Budgeting ermöglicht die systematische Analyse, Steuerung und Evaluation des Haushalts um Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich durchzusetzen.

Wie funktioniert Gender Budgeting (Gleichstellungsorientierte Haushaltssteuerung) in Freiburg?

Um eine Analyse durchzuführen, müssen Informationen über die Verteilung und Wirkung der öffentlichen Mittel bekannt sein oder statistisch erhoben werden. Folgende Fragen stehen u.a. dabei im Mittelpunkt:

  • Welche Zielgruppen werden durch die geförderte Infrastruktur erreicht? Wem kommen die finanziellen Mittel und Leistungen der öffentlichen Hand zugute? Wer nutzt die Dienstleistungen und Produkte?
  • Wie wirkt sich die Vergabe öffentlicher Mittel auf die Lebensverhältnisse von unterschiedlichen Geschlechtern aus? Tragen sie zur Gleichstellung von Menschen aller Geschlechtern sowie Menschen, die für sich mit einem anderen Geschlecht oder sexuelle Identität identifizieren, bei?
  • Haben verschiedene Geschlechter unterschiedliche Prioritäten?

Zur Bewertung der Vergabe öffentlicher Mittel muss auch die unbezahlte Arbeit, z.B. in der Familie, einbezogen werden.

Relevante Implementierungsschritte von Gender Budgeting in Freiburg

Der Gemeinderat hatte gemäß Drucksache G-10/070 am 27.04.2010 beschlossen, dass die Stadt Freiburg finanzrelevante Entscheidungen in zu bestimmenden Themenfeldern stufenweise unter den Maßgaben von Gender Budgeting vorbereitet. Dem Gemeinderat werden Beschlüsse mit den entsprechenden Angaben vorgelegt. Seit 2005 fand durch den Implementierungsprozess von Gender Mainstreaming eine gezielte Vorarbeit statt: Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitische Strategie bot die Möglichkeit, das gesamte Verwaltungshandeln in Bezug auf die Ziele, wie die Gleichstellung der Geschlechter und Chancengleichheit, zu überprüfen und zu verbessern.

Die in diesem Prozess gewonnen Erkenntnisse und Erfahrungen fußen auf dem Beschluss, den der der Ministerrat der EU wie folgt definierte:

Gender Budgeting ist eine Anwendung des Gender Mainstreaming im Haushaltsprozess. Es bedeutet eine geschlechterbezogene Bewertung von Haushalten und integriert eine Geschlechterperspektive in alle Ebenen des Haushaltsprozesses. Durch Gender Budgeting werden Einnahmen und Ausgaben mit dem Ziel restrukturiert, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern.

Der Vertrag von Amsterdam (1999) verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten, Gender Mainstreaming in allen relevanten Politikbereichen, und damit auch in der "Haushaltspolitik", umzusetzen.

Die Freiburger Stadtverwaltung hat durch unterschiedliche Handlungsprozesse den Weg eingeschlagen, sodass gegenderte – also geschlechterbezogene Daten – erhoben werden, um transparent aufzuzeigen, wofür und für wen öffentliche Mittel ausgegeben werden: Erst eine geschlechtersensible Datenlage schafft die Voraussetzungen für eine fundierte und zielorientierte Gender Budgeting Analyse von Handlungsprozessen und Sachständen, sodass passgenaue, dezernats- und fachübergreifende (Um-)Steuerungsprozesse zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit stattfinden können.

Beispiele

Vereinbarkeit von Familie und Beruf​
Da vor allem Frauen die unbezahlte Familienarbeit erledigen, stärkt der Einsatz von Mitteln für die Kinderbetreuung primär die Erwerbsmöglichkeiten von Frauen. Werden die Mittel für die Kinderbetreuung gekürzt, steigt der Anteil unbezahlter Arbeit bei Frauen. Dies führt nicht zu Abhängigkeiten und Ungleichheiten, sondern hat angesichts des demographischen Wandels Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft.

Sport
Durch Sportförderung unterstützt die Stadt Freiburg u.a. die Jugendarbeit. Gender Budgeting macht sichtbar, welche Sportarten gefördert werden und wie viele Mädchen und Jungen davon betroffen sind. Dies ermöglicht nicht nur eine gerechtere Mittelverteilung, sondern auch differenziertere Zielsetzungen für Jungen und Mädchen. Der Sportentwicklungsplan zeigt: 11 Prozent mehr Frauen als Männer nutzen die Bäder (2004). Werden die Mittel für die Bäder gekürzt, sind Frauen stärker betroffen als Männer. Insgesamt betrachtet stellt sich folgende Fragen: Wer nutzt die Angebote der Sportvereine? Welcher Altersgruppe gehören die Nutzenden an? Kommen sie mit Kindern oder ohne? Dient Sportförderung der Integration unterschiedlicher Kulturen in die Mehrheitsgesellschaft?

Öffentlicher Nahverkehr
Untersuchungen anhand des Verkehrsentwicklungsplans Freiburg zeigen, dass Kinder, Jugendliche, Frauen und Senior_innen den ÖPNV überdurchschnittlich nutzen. Wenn hier Mittel abgebaut werden, wird deren Mobilität eingeschränkt.

Stadtbibliotheken
Die Stadtbibliothek hat im Jahr 2004 erstmals detaillierte Erhebungen über das Ausleihver-halten gemacht, sowie eine Evaluation im Jahr 2008 und 2014. Dabei wurde bspw. festgestellt, dass Jungen ab 11 Jahren deutlich weniger Bücher ausleihen als Mädchen. Als Konsequenz hat die Stadtbibliothek für diese Zielgruppe vielfältige Bücher- und Medienangebote neu in das Sortiment aufgenommen – mit Erfolg: Lag das Geschlechterverhältnis 2004 noch bei 68 zu 32 zugunsten der Mädchen, so war 2015 fast ein Gleichstand erreicht. Aktuell sind es 51 Prozent Mädchen und 49 Prozent Jungs, die die städtischen Bibliotheken nutzen.

Die Stadtbibliothek ist dazu auch neue Wege gegangen und hat mit Teenies z.B. einen Film zur Macht der Fantasie beim Lesen gemacht. Unter dem Titel „Manche Filme müssen gelesen werden“ wurde ein Kurzfilm erstellt, der zum Lesen animiert und auf die Schätze der Kinder- und Jugendmediathek Rieselfeld hinweist, mehr...

Unter dem Titel Geschlechtergerechtigkeit braucht Kostentransparenz nahm das Amtsblatt der Stadt Freiburg in seiner Haushaltsserie (Teil VI) den Gender Budgeting Prozess in Freiburg unter die Lupe (Amtsblatt Nr. 688 vom 27. Januar 2017 (4,444 MB))

Doppik und Schlüsselprodukte

Die entscheidenden Schritte zur Verwirklichung eines geschlechtersensiblen Haushaltes, erfolgte in Freiburg durch einen umfangreichen Schulungsprozess: Dieser ist stetig vertieft worden und führte zu der Umstellung auf Doppik im Doppelhaushalt 2015/2016 (DHH):

Doppik, ist ein Kunstwort und steht für "doppelte Buchführung in Konten".Der Begriff meint den Buchführungsstil, der als betriebliche Rechnungslegung in der freien Wirtschaft praktiziert wird. Kern der Doppik ist die doppelte Buchung sämtlicher Geschäftsvorgänge auf zwei Konten, jeweils als "Soll" an "Haben". Es werden dadurch, anders als bei der bis Ende 2014 kameralistischen Buchführung, nicht nur Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge festgehalten, sondern auch Schulden, Güter und Außenstände.
Das Ziel ist es, alle Geschäftsvorfälle zeitnah und umfassend so zu dokumentieren, dass ein Überblick über den betriebswirtschaftlichen Erfolg (Gewinn oder Verlust), sowie über den Vermögens- und Verbindlichkeitenstand entsteht. Dazu passt der Grundgedanke von Gender Budgeting: Für wen und für was werden öffentliche Haushaltsmittel geschlechtersensibel ausgegeben?

Dies wurde mit dem Doppelhaushalt 2015/2016 erstmalig am Beispiel von fünf identifizierten Schlüsselprodukten dargestellt und daraufhin vergleichbar in Folgehaushalten (2017/2018 und aktuell 2019/2020) abgebildet. Konkret bedeutet dies, dass die Erhebung geschlechterspezifischer Daten (Zahlen inkl. Kennzahlen) in folgenden Bereichen des Verwaltungshandelns stattfand:

  • Haupt- und Personalamt im Bereich der Steuerung
  • Amt für Kinder, Jugend und Familie: Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Tagespflege
  • Amt für Soziales und Senioren: Beschäftigungsförderung
  • Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen: Grundstücksmanagement
  • Garten- und Tiefbauamt: Verkehrsentwicklung
  • Forstamt – hier ist der Fokus primär auf drei Nachhaltigkeitsziele gerichtet: Holzproduktion, ökologische Funktion des Waldes, soziale Funktion des Waldes.

Zukünftig wird es zunehmend auch darum gehen, dass die Verwaltung dezernats- und fachübergreifend Themenschwerpunkte aufgreift und hinsichtlich der Abbildung von Geschlecht und Vielfalt Inhalte thematisiert, die bisher weniger oder überhaupt keine Beachtung in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren haben: Mit der Abbildung von Gender Budgeting auf der Teilhaushaltsebene werden im Doppelhaushalt 2019/2020 erstmals am Beispiel von elf Produkten, die aus dem Gesamtbudget eines thematischen Haushaltsschwerpunktfelds herausgelöst wurden, geschlechtersensible Daten abgebildet.

Doppelhaushalt 2019/2020: Teilhaushaltsebene Gender Budgeting
Dezernat I THH 2 Projekt: FrauenNachtTaxi
    Kriminal- und Gewaltprävention
    Projekt: Evaluierung Sportentwicklungsplan
    Beteiligung und Teilhabe
    Projekt: Ferienbetreuung
    Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Dezernat II THH9 Projekt: Angebot Fluss e.V. für Bildungsarbeit zu Geschlecht und sexueller Orientierung
    Beteiligung und Teilhabe
  THH10 Projekt: Hüttenvermietung
    Beteiligung und Teilhabe
Dezernat III THH12 Projekt: Leseförderung bei Jungen
    Bildung
  THH13 Projekt: Arbeitsgelegenheiten Frauen
    Arbeit und Beschäftigung
    Projekt: Sozialpsychiatrische und gemeindenahe Versorgung von Freiburger_innen
    Beteiligung und Teilhabe
Dezernat IV THH16 Projekt: Repräsentative Umfrage
    Basis-Standards
  THH18 Projekt: Produktauftrag sonstige Gefahrenabwehr
    Kriminal- und Gewaltprävention
Dezernat V THH 26 Projekt: Ausbau der drei Pilotrouten des Rad-Vorrang-Netzes
    Mobilität

Links zu Gender Budgeting

Gender Budgeting - EU Strategie
www.femtech.at/sites/default/files/Was_ist_Gender_Budgeting.pdf
 
Gender Budgeting  - im Senat Berlin

www.berlin.de/sen/frauen/gleichstellung/gender-budgeting/
 
Gender Budgeting – Worldwide UN
gender-financing.unwomen.org/en

Studien und Informationsmaterial zu Gender Budgeting

Gender Budgeting - Neue Perspektiven für die Gleichstellungspolitik
library.fes.de/pdf-files/do/04423.pdf
 
Machbarkeitsstudie Gender Budgeting auf Bundesebene
www.bmfsfj.de/bmfsfj/machbarkeitsstudie-gender-budgeting-auf-bundesebene/84646
 
Gender Budget Analyse für Oberösterreich
www.land-oberoesterreich.gv.at/36701.htm

Vertrag von Amsterdam

Der Vertrag von Amsterdam (1999) verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten, Gender Mainstreaming umzusetzen. Dies gilt auch für die Haushaltspolitik. Die EU-Finanzministerkonferenz strebt die Umsetzung von Gender Budgeting bis 2015 an. In vielen EU-Staaten wurde Gender Budgeting eingeführt, so z.B. in Österreich, wo es mit der Haushaltsrechtsreform 2009 als Staatsziel festgelegt wurde. In Deutschland setzen neben Freiburg vor allem das Land Berlin und die Stadt München Gender Budgeting um.