Kulturlabor Freiburg

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Diskursraum #4

Kulturelle Teilhabe?!

Von Diversität, Chancengleichheit und Inklusion in Kunst und Kultur

21. November 2022
14:00–17:30 Uhr
Stadtbibliothek

Es sollen möglichst viele Menschen – trotz ihrer ungleichen Startchancen – einen Zugang zu Kunst und Kultur erhalten. Kinder haben sogar ein Recht darauf (UN-KRK, Art. 31, Absatz 1). Welchen Beitrag kann, welchen soll die Kunst und Kultur hier überhaupt leisten? Was genau meinen wir eigentlich mit „Diversität“, „Chancengleichheit“ und „Inklusion“ in Bezug auf Kunst und Kultur? Welche Rolle sollen diese Bereiche in einer künftigen, nachhaltigen Kunst- und Kulturförderung spielen?
 

Mit Impulsen und interaktiven Methoden regten Melanelle B. C. Hémêfa (Poetin, Autorin, Speakerin, Moderatorin, Blacktivist und Coach für Empowerment sowie Antirassismus) und Sarah Baumgart (Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen der Stadt Freiburg) zunächst eine Auseinandersetzung mit den Begriffen Diversität, Inklusion und Teilhabe / Chancengleichheit an.

Diversität

Melanelle B. C. Hémêfa (Präsentation siehe PDF, nicht barrierefrei (971,1 KB)):

  • Diversität umfasst verschiedene Dimensionen, die zum Teil veränderbar sind: Die innere Dimension beinhaltet beispielsweise das Alter und die ethnische Herkunft, die äußere Dimension Familienstand und Ausbildung und die organisationale Dimension strukturelle Komponenten wie den Arbeitsort oder -inhalte.
  • Zur Förderung von Vielfalt sollten Institutionen die unterschiedlichen Ebenen berücksichtigen.
  • Merkmale, aufgrund derer Diskriminierung stattfindet, sind ebenfalls vielfältig, u. a. ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter, sexuelle Identität.
  • Diskriminierung erzeugt Ungleichheit in Gruppen. Ein gleicher Zugang für alle entsteht dadurch, dass Barrieren erkannt werden und denen geholfen wird, die nicht über die Barrieren hinwegkommen.
  • Diskriminierungsfreie Räume gibt es nicht. Vielmehr sollte das Ziel sein, diskriminierungskritische Räume zu schaffen und im Vorfeld zu reflektieren, wie damit umgegangen wird, wenn Diskriminierung stattfindet (z. B. durch Awareness-Team).

Inklusion

Sarah Baumgart (Präsentation siehe PDF, nicht barrierefrei (488,3 KB)):

  • Bei Inklusion wird häufig an Menschen mit Behinderung gedacht, ein erweitertes Verständnis definiert Inklusion vielmehr als Antwort auf Diversität und darauf, wie die Gesellschaft mit Barrieren umgeht: Was brauchen Menschen, um dabei sein und mitmachen zu können? Was hindert sie daran, teilzunehmen? (z. B. zeitliche, soziale, sprachliche, räumliche Barrieren)
  • Ableismus: Die Welt wird an nichtbehinderten Menschen ausgerichtet und behinderte Menschen werden dadurch bewusst/unbewusst ausgeschlossen.
  • Es gibt keine barrierefreien Räume, aber inklusives Handeln versucht, Hauptbarrieren zu erkennen, zu verstehen und zu beseitigen.
  • Artikel 8, 21 und 30 der UN-Behindertenrechtskonvention konkretisieren das Recht auf Teilhabe im Bereich Kunst und Kultur.
  • Inklusion bedeutet, Zugänglichkeit und Teilhabe für alle vor, auf und hinter der Bühne, Veranstaltung, Ausstellung etc.
  • Der Beitrag von Kunst und Kultur liegt u. a. in der Bewusstseinsbildung der Gesellschaft hin zur inklusiven Gesellschaft und in der Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen.

Teilhabe / Chancengleichheit

Kulturelle Teilhabe ist gleichzeitig auch „Teilgabe“. Was verstehen wir darunter und wie kann „Teilgabe“ in Kunst und Kultur gelingen?

  • Gleichberechtigung, gemeinschaftliches Gestalten auf Augenhöhe
  • Abgeben / geben als Haltung: Zeit, Ressourcen, Interesse, Verantwortung, Repräsentanz und Sichtbarkeit
  • Bewusstsein zu Grenzen und Ausschlüssen, Hinterfragung von Privilegien und Machtstrukturen
  • Dialog und Austausch mit Vertreter_innen und Gruppen, die von Ausschlüssen betroffen sind
  • Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und Bedürfnisse
  • Empowerment
  • Gute Bildung von Anfang an
  • Einfach auf den Weg machen und schauen, wo man ankommt! Dafür prüfen, welche Möglichkeiten es gibt und wo es Unterstützung braucht, z. B. finanzieller Art oder durch Einbindung von Expert_innen mit Diskriminierungserfahrung
  • Räume schaffen für ergebnisoffenen Austausch, Reflexion von Barrieren
  • Erreichen von Zielgruppen z. B. durch Diversität im Team, Einbindung von Multiplikator_innen, Kooperationspartner_innen, Expert_innen, persönliche Kommunikation
  • Bei Veranstaltungen mehrere Sinne ansprechen und sprachliche Barrieren mitdenken (Übersetzungen, Audiodeskription etc.)

Praxisimpulse und Erfahrungsaustausch

Tisch 1: Pilar Buira Ferre, Kulturraum Rosenhof

  • Das Kulturzentrum bringt Kunst und Kultur an Orte, wo dies nicht erwartet wird, und stößt einen Dialog zwischen Menschen, Natur und Kulturen an.
  • Vielseitiges Angebot, Schwerpunkt zeitgenössischer Tanz
  • Bewusstes Erleben statt Konsumieren: Der Ort erfordert einen gezielten Besuch und die Projekte ein hundertprozentiges Committent der Teilnehmenden.
  • Die partizipativen Tanzprojekte mit Laien-Tänzer_innen verfolgen einen hohen künstlerischen Anspruch, aber Vorerfahrung ist keine Voraussetzung und alle Interessierten werden angenommen.
  • Die Projektausschreibungen werden über den Kulturraum-Newsletter kommuniziert. Sie sind ganz offen formuliert, damit sich alle angesprochen fühlen. Projektweise liegt ein Fokus, z. B. auf Frauen („Women100 – Tanztheaterworkshop mit 100 Frauen“) oder Menschen über 40 („In-Zeit-Sprung“).
  • Inklusion: Für besondere Bedürfnisse einzelner Teilnehmer_innen werden individuell und mit der Gruppe nach Lösungen gesucht.   
  • Die Angebote des Kulturraums funktionieren, weil der Ort authentisch ist und Menschen berührt. Für den langjährigen Aufbau brauchte es Mut, Enthusiasmus, klare Zielvorstellungen und viel ehrenamtlichen Einsatz. Aktuell ist die Erweiterung um ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt geplant.

Tisch 2: Angela Hinel, badenova, Freiburg

  • Das Unternehmen hat ein eigenes Nachhaltigkeitsmanagement und 2015 die ersten Ökologie- und Nachhaltigkeitsleitlinien erstellt. Die Unternehmensstrategie folgt dabei den europäischen EMAS-Richtlinien zur Umweltberichterstattung und den Kriterien des DNK (Deutscher Nachhaltigkeitskodex).
  • Die Nachhaltigkeitsstrategie wird möglichst praxisnah gestaltet. Dabei geht es um die Umsetzung von ausgewählten Themen in der eigenen Organisation. Die Maßnahmen müssen auf die Menschen ausgerichtet sein, die dort tätig sind.
  • Die Themenauswahl für die Nachhaltigkeitsstrategie erfolgt aufgrund eines Berichts und ist Ergebnis einer Wesentlichkeits-Analyse: Auf welche Themen sollten wir uns fokussieren? Was machen wir? Und was geht dabei noch (etwas mehr)?
  • Die Strategie für nachhaltiges Handeln umfasst Ziele und konkrete Maßnahmen in den Bereichen Bewusstseinsbildung zu einem nachhaltigen Lebensstil, Vielfalt, Biodiversität, Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Beschaffung.
  • Eine wichtige Rolle spielen regelmäßige Nachhaltigkeitsberichte, die Veränderungen im Handeln avisieren und sichtbar machen. In der nächsten Anpassung der Leitlinien sollen die sozialen und ökonomischen Dimensionen von Nachhaltigkeit stärker einbezogen werden, beispielsweise durch Sponsoringrichtlinien, die festlegen, dass das Unternehmen nur regionale Akteure mit Bezug zur ökologischen Ausrichtung unterstützt.

Tisch 3: Emi Miyoshi, SHIBUI Kollektiv, und Henri Dietz, Kunstverein Freiburg

  • „Wenn ich tanze“ ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Freiburger SHIBUI Kollektiv, dem Kunstverein und dem Heinrich-Hans-Jakob-Haus, einer Lebensgemeinschaft von Menschen im dritten Alter.
  • Die beteiligten Senior_innen sind Teil der künstlerischen Arbeit, es ist kein pädagogisches Projekt.
  • Tanz ermöglicht einen anderen Zugang zur Kunst als über Sprache.
  • Teilhabe erfolgt über den Inhalt der Ausstellung und erreicht Personen, die sonst nicht in den Kunstverein gehen und tanzen – dafür braucht es den Kooperationspartner.
  • Perspektive: Begegnung über die künstlerische Praxis, mehr Verzahnung mit dem Ort – Personen kamen zu Führungen, die sonst nie da waren.
  • Der Zugang (soziale Zugehörigkeit etc.) wird unterschätzt.
  • Die Durchführung des Projekts ist nur durch Landesförderung möglich.

Tisch 4: Sarah Wendle, Zürcher Theater Spektakel

Abschlussrunde und Ausblick

Abschließend wurde nach weiteren Fragen und Bedarfen gefragt, die in Bezug auf Diversität, Inklusion und Chancengleichheit bestehen. Dabei schälten sich einige Schwerpunktbereiche heraus:

  • Kommunikation, die einerseits zielgruppenspezifisch genau und andererseits auch eine größere Öffentlichkeit zu Inklusion und Diversität erreicht
  • Fortführung des Austauschs über die heutigen Themen, auch mit Migrant_innen und Menschen mit Behinderungen, weitere Best Practise-Impulse
  • Diversitätscoaching und längerfristige Begleitung zum Aufbau eines internen Know-how sowie Schulungen zum Perspektivwechsel

Ausgehend von den Ergebnissen werden weitere Module angedacht, die einzelne inhaltliche Aspekte vertiefen und Ansätze für die praktische Umsetzung entwickeln.
 
Aussagen der Teilnehmenden zu Bedarfen im Einzelnen:

Diversität:

  • Weitere Austauschmöglichkeiten zum Thema
  • Netzwerktreffen mit migrantischen Selbstorganisationen
  • Begleitung/Fördermöglichkeit für den längerfristigen Aufbau von internem Know-How, Diversitätscoaching
  • Diversitätssensible, zielgruppenspezifische Kommunikation
  • kultureller Beirat
  • Verhaltenskodex (?)
  • Synergien schaffen, z. B. Inklusionstheater auf Bühnen, die normalerweise als Kabarettraum genutzt werden
  • Wie können Stellenausschreibungen Diversität bejahen?
  • Wie kommt man an Expert_innen für Inklusion?

Inklusion:

  • Best Practise-Beispiele für Inklusion vor, auf und hinter der Bühne
  • Training zur Erkennung von Zugangsbarrieren
  • Vermittlung des Themas an breite Gesellschaft
  • Vernetzungen zwischen Menschen mit gleichen Interessen (sog. „Suchräume“ schaffen, think together)
  • Kulturlabor: Workshop „Kunst und Kultur barrierefrei gestalten“ / allgemein: konkrete Anwendung/Applikation für Kulturamt
  • Teilgabe: Was „gibt“ die Kultur? Wie können sich Formate, Sparten, Institutionen verändern?
  • Veränderte Förderbedingungen für Teilgabe? (Ressourcen Zeit und Finanzen, andere Erwartungen an Produktionen, prozessorientierter, ergebnisoffener)
  • Förderung von inklusiven Angeboten, z. B. Lesungen mit Gebärden-Dolmetscher_innen

Teilhabe / Chancengleichheit:

  • Fördermöglichkeiten für altersgemischte, heterogene Gruppen
  • Austausch zu Teilhabe – Teilgabe als gemeinsamer Prozess
  • Wie kriegen wir Know-how passend auf unsere Einrichtung bzw. wie können wir das bezahlen? Wie können wir kulturelle Teilhabe spartenübergreifend und im Arbeitsalltag umsetzen und beibehalten?
  • Wie können diese Themen verbindlich in Curricula von Schulen und Universitäten (Lehramt) eingefügt werden? Wichtig, um eurozentristische Sicht auf Geschichte zu relativieren.
  • Wie kommen mehr Menschen mit „nicht-genormtem“ Hintergrund in Entscheidungspositionen?
  • Kreativität/Perspektive wechseln, unterschiedliche Zugänge geben
  • Für alle Menschen, die es wollen, muss Kultur erreichbar sein. Wie wird das vermittelt? Wie können PoCs, Menschen mit Migrationserfahrung und Behinderung auf Angebote aufmerksam gemacht werden?

Sonstiges:

  • flexible, aber langfristige Kulturförderstrukturen, die mehr den Fokus auf Prozesse legen, nicht nur auf gezielte künstlerische Ergebnisse / Präsentation
  • Förderung, um verschiedene Angebote entwickeln zu können
  • Theatrale Zusammenarbeit: Wie finde ich Netzwerke für Gedankenaustausch?