Gender Mainstreaming
Im deutschsprachigen Raum hat sich als Fachbegriff für "Geschlecht" die englische Bezeichnung "Gender" etabliert, weil es in der deutschen Sprache keine Unterscheidung zwischen dem sozialem Geschlecht und dem biologischen Geschlecht gibt. Vielmehr wird mit dem Begriff "Geschlecht" von den meisten Menschen vor allem das biologische Geschlecht assoziiert, was im Englischen mit der Bezeichnung "sex" verbunden wird. Die neuere Geschlechterforschung weist darauf hin, dass das "Geschlecht" immer im Bezug auf soziale, kulturelle, politische und biologische Komponenten verstanden werden muss. Diese sind einerseits historisch gewachsen, andererseits befinden sie sich, durch den Wandel gesellschaftlicher Werte, in einem ständigen Veränderungsprozess.
Mit dem Begriff Gender als Ausgangspunkt von Gleichstellungspolitik sollen Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen und über die binären Geschlechterkategorien (männlich und weiblich) hinaus angesprochen werden. Der Begriff beschreibt das Ineinanderwirken verschiedener Aspekte, wie sexueller Orientierung und Lebensweise, nationaler und ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Glaube, Weltanschauung oder körperlicher und geistiger Behinderung oder Befähigung. Genau darauf zielt die Strategie Gender Mainstreaming ab: Es geht um die systematische Berücksichtigung von Gender auf allen Ebenen und von allen beteiligten Menschen. Mainstream meint damit, dass all diese Komponenten jederzeit im Fokus sein müssen, also den Hauptstrom (= Mainstream) bilden sollen.
Gender Mainstreaming hat den Anspruch, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben und jeglichem Verwaltungshandeln, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Menschen aller Geschlechter von vorneherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Gender Mainstreaming steht daher im engen Zusammenhang mit dem Grundgesetz (GG, Artikel 3) und mit dem im Jahr 2006 verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG):
§ 1 AGG erklärt, dass es "Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen."
EU Definition (Offizielle deutsche Übersetzung des Europarat zu GM - Stand 2007) (36,7 KB)
1. Repräsentation
Wer sind die Nutzer_innen und wie setzen sich diese nach dem Geschlechterverhältnis zusammen?
- Ist die genaue Anzahl bekannt? Oder kann ein Zahlenverhältnis geschätzt werden?
- Wer ist auf das Angebot besonders angewiesen?
- Wer kann das Angebot nicht nutzen?
- Zu beachten sind dabei - soweit möglich - auch weitere Merkmale wie Alter, Einkom-mensverhältnisse oder Migrationshintergrund.
Beispiel
Wer bezieht Wohnbeihilfe oder Mindestsicherung? Wer nutzt eine von der Stadt Freiburg geförderte Sporteinrichtung? Wer sind die Nutzer_innen von Parkanlagen und Hallenbädern? Wer nutzt Infotelefone und Hotlines?
2. Ressourcen
Wie verteilen sich Mittel und Möglichkeiten auf die unterschiedlichen Nutzer_innen?Um dies zu ermitteln sind Angaben über die Verteilung von Zeit, Raum und Geld und den Zugang zu Informationen entscheidend.
- Haben alle Nutzer_innen, Klient_innen, Interessent_innen einen adäquaten Zugang zu Informationen über das Angebot?
- Werden bei der Planung und Gestaltung die spezifischen Lebens- und Zeitsituationen von Menschen unterschiedlichen Geschlechts, z.B. die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse, berücksichtigt?
- Welche Möglichkeiten haben Menschen unterschiedlichen Geschlechts, um das Angebot, die Dienstleistungen oder die Einrichtung in Anspruch zu nehmen?
- Haben Menschen unterschiedlichen Geschlechts wirklich die gleichen Chancen zur Nutzung der Angebote, beziehungsweise der Dienstleistungen?
Beispiel
Wer nimmt mehr Platz im Park, auf dem Spielplatz oder im Warteraum ein? Wie ist die Verweildauer in Spitälern? Wie viele Plätze stehen in Obdachloseneinrichtungen oder Beratungseinrichtungen, speziell für Menschen unterschiedlichen Geschlechts, zur Verfügung? Werden Menschen unterschiedlichen Geschlechts gleichermaßen in Informationsbroschüren angesprochen, z.B. durch geschlechtergerechte Sprache, Bildauswahl, Beispiele? Stehen bei Bedarf Unterlagen in verschiedenen Sprachen oder Dolmetscher_innen zur Verfügung?
3. Realität
Warum ist die Situation so? Wo sind Ansätze für Veränderungen? Bei diesem Schritt geht es um ein erstes Einschätzen der Hintergründe und Ursachen für eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. Zu hinterfragen sind Rollenbilder, Werte und bisherige Vorgangsweisen.
- Wurden die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse von Menschen unterschiedlichen Geschlechts in unterschiedlichen Lebenslagen erkannt und berücksichtigt?
- Wird Menschen unterschiedlichen Geschlechts, die zum Beispiel Beratung oder ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, mit unterschiedlichen Einstellungen beziehungsweise Vorurteilen begegnet?
- Ist eine spezifische Behandlung von Menschen unterschiedlichen Geschlechtern sachlich begründet und/oder zur Beseitigung von Diskriminierungen vielleicht sogar notwendig?
Beispiel
Mädchen und Jungen haben grundsätzlich den gleichen Zugang zu Sportanlagen. Sie sind aber zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher Wertehaltungen in der Erziehung (ob zuhause oder in der Schule), aufgrund von Vorbildern im Freundeskreis oder der Darstellung von Sportarten in den Medien nicht an den gleichen Sportarten interessiert. Speziell Mädchen haben oft auch kein Interesse an der Teilnahme an Wettbewerben. Somit haben in diesem Fall Mädchen ohne gezielte Förderung nicht die gleichen Möglichkeiten und Ausgangsbedingungen.
4. Rechtliche Situation
Bieten die rechtlichen Vorgaben ausreichend Schutz vor möglichen Benachteiligungen und Diskriminierungen? Zu betrachten sind nicht nur Gesetze im engeren Sinn, sondern auch Verordnungen und vor allem interne Regelungen für den Zugang, z.B. zu einer Förderung, einer Beratungsleistung oder der Nutzung einer Einrichtung.
- Sind alle Zielgruppen über die rechtliche Situation gleichermaßen informiert?
- Berücksichtigen vorhandene Regelungen geschlechtsspezifische Realitäten?
- Welche Grundlagen müssten zusätzlich geschaffen werden, um Gleichstellung zu gewährleisten?
Beispiel
Richtet sich z.B. die Regelung von Öffnungszeiten nach den geänderten Lebens- und Arbeitsrhythmen? Dies betrifft bspw. Öffnungszeiten von Kindergärten und Nachmittagsbetreuungsangeboten, Ferienbetreuung, Öffnungszeiten von Ambulanzen, Beratungseinrichtungen oder Ämtern.
Berücksichtigt die Regelung der Prüfung der Mindest-Gehsteigbreite den Platzbedarf von Fußgänger_innen oder Personen mit Kinderwagen oder Rollstühlen (z.B. bei der Genehmigung der Freiflächen von Cafés)? Oder wird dem wirtschaftlichen Interesse mehr Bedeutung beigemessen?