Sicherheit und Wohnbau treiben den Stühlinger um

Rund 130 Bürgerinnen und Bürger kamen zum OB-Stadtteilbesuch in der Max-Weber-Schule im Stühlinger

Als "pulsierenden Stadtteil im Herzen der Stadt" bezeichnete Oberbürgermeister Martin Horn den Stühlinger in seinem kurzen Eingangsstatement bei seinem Besuch vor Ort am 28. März. Rund 130 Bürgerinnen und Bürger waren in die Aula der Max-Weber-Schule gekommen.

Zwiegerackerweg in St. Georgen
Viele Facetten: Der Stühlinger ist vielleicht der bunteste Stadtteil Freiburgs – architektonisch, sozial und kulturell. (Foto: A. Sancho-Rauschel)

Die drängendsten Probleme im Viertel westlich der Bahnlinie skizzierte OB Horn eingangs gleich selbst: die geplanten Bauvorhaben im Metzgergrün und Kleineschholz sowie die Sicherheit rund um den Stühlinger Kirchplatz. Aus dem Metzgergrün waren etliche Anwohnerinnen und Anwohner anwesend, die mit Transparenten für den Erhalt ihrer Häuser warben. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass eine Erweiterung des Quartiers nicht auf Ablehnung stößt; Widerstand gibt es aber gegen den Abriss der alten Stadtbau-Häuser. OB Horn zeigte für diese Position „volles Verständnis“, warb allerdings für das städtische Konzept, das er mit einer kurzen Präsentation – zwei Wochen nach seinem Vor-Ort-Besuch im Metzgergrün – nochmals erläuterte. Weil im ersten Bauabschnitt auf dem heutigen Wohnmobilstellplatz neue Wohnungen entstehen, können letztlich alle Bewohnerinnen und Bewohner im Quartier bleiben, die das wollen. Ziel sei es, das zu erhalten, was das Metzgergrün auszeichnet. Außerdem verwies Horn auf die große Zahl barrierearmer und ganz barrierefreier Wohnungen sowie auf den Klimaschutz, zum dem die Neubauten beitragen.

Sehr angespannt wird offenkundig die Situation rund um den Stühlinger Kirchplatz wahrgenommen. Mehrere Anwohnerinnen und Anwohner aus der direkten Nachbarschaft berichteten, dass sich das Sicherheitsgefühl in den letzten Jahren deutlich verschlechtert habe. Viele würden das Haus abends nur noch mit Pfefferspray zum Eigenschutz verlassen. Auch der für die Herz-Jesu-Kirche zuständige Pater Markus berichtete, dass Vermüllung und Belästigungen durch Personen aus dem Drogenmilieu stark zugenommen hätten. „Wir dürfen keine Toleranz haben gegenüber Leuten, die sich selbst total intolerant verhalten“, sagte er unter großem Applaus.

Drogen und Müll auf dem Stühlinger Kirchplatz

OB Horn führte aus, dass die Stadtverwaltung mit einer Vielzahl von Maßnahmen daran arbeite, „einen der attraktivsten Plätze der Stadt mit großem Potenzial“ zurückzuerobern. Einerseits habe der Gemeinderat gerade eine Aufstockung der Stellen für die Straßensozialarbeit beschlossen; auch die Ausweitung des kommunalen Vollzugsdienstes solle die Sicherheit erhöhen. Auf der anderen Seite soll ein Kulturkonzept dazu beitragen, den Platz möglichst oft zu bespielen. Nicht zuletzt verwahrte er sich gegen pauschale Verurteilungen von Personengruppen. „Straftaten werden von Einzeltätern begangen“ – und am meisten ärgern sich bei ausländischen Tätern „deren eigene Landsleute, weil die dann pauschal verurteilt werden“, so der OB.

Ohnehin gibt es offenbar eine deutliche Diskrepanz zwischen gefühlter und tatsächlicher Sicherheit, wie Ulrich Nowak, der Leiter des Polizeipostens Stühlinger, in einem ausführlichen Statement erläuterte. Drogenhandel habe es auf dem Platz schon vor 30 Jahren gegeben, nur seien es jetzt eben andere Leute. Heute sei das „Geschäft“ in der Hand von Gambiern, die allein durch ihre Hautfarbe und die offensiven Verkaufsmethoden sehr auffallen. Allerdings seien längst nicht alle Gambier auf dem Platz Drogendealer; vielmehr habe sich der Platz zu einem Treffpunkt für Landsleute aus der ganzen Region entwickelt. Die Polizei sei mit uniformierten und zivilen Einsatzkräften vor Ort. Auch die Zahl angezeigter sexueller Belästigungen im Bereich des Kirchplatzes nannte Nowak: 2018 gab es genau eine.

Gemeinsames Gärtnern statt privater Kleingärten

Die Initiative „Gartenleben“ nutzte den OB-Besuch, um sich für den Erhalt ihrer Kleingärten im Gewann Kleineschholz einzusetzen. Die Argumentation, eine Bebauung sei gar nicht notwendig, wies Martin Horn zurück: „Wenn Sie sagen, es gebe keine Wohnungsnot, dann leben wir in zwei verschiedenen Städten.“ Verständnis äußerte er aber für den Wunsch, Kleingärten zu erhalten. Er habe sich daher nach seinem Amtseintritt dafür eingesetzt, möglichst viel gärtnerische Nutzung im neuen Quartier zu ermöglichen. Das sei auch gelungen, wie Babette Köhler vom Stadtplanungsamt erläuterte. Der Siegerentwurf für Kleineschholz enthalte sehr viele unterschiedliche Gartennutzungen, beispielsweise Flächen für gemeinsames oder urbanes Gärtnern oder Gewächshäuser auf sämtlichen Dächern. Ähnlich wie beim Metzgergrün warb OB Horn auch hier mit Überzeugung für das Konzept: „Wir haben die Chance, zu 100 Prozent gemeinwohlorientiertes Bauen zu ermöglichen.“ Seine klare Botschaft: Auch nach dem gewonnenen Bürgerentscheid zu Dietenbach bleibt die Schaffung preiswerten Wohnraums ganz oben auf der Agenda des Rathauses.

Stühlinger

In der amtlichen Statistik besteht der Stadtteil Stühlinger aus zwei Bezirken: Stühlinger- Eschholz und Alt-Stühlinger, die durch die Stadtbahnlinie getrennt sind. Im gesamten Stadtteil leben (Stand 1.1.2018) knapp 16 000 Menschen. Der Bezirk Eschholz ist von den innerstädtischen Wohngebieten um den Lederle- und den Friedrich-Ebert- Platz sowie die Uniklinik geprägt. Auch die Arbeitsagentur und das neue Rathaus im Stühlinger finden sich hier. Der Bezirk Alt- Stühlinger ist als Industriegebiet mit Wohnbebauung für die Arbeiter und Arbeiterinnen und die Bürgerschaft mit kleinem und mittlerem Einkommen entstanden. Ein Identifikationspunkt ist die Herz-Jesu-Kirche mit dem Stühlinger Kirchplatz. Prägend sind hier auch das Quartier Metzgergrün sowie zur Dreisam hin die Großwohnanlagen der 1970er-Jahre. Auch das Berufsschulzentrum gehört zu diesem Stadtbezirk.


Im Straßenbild fällt die Trennlinie der zwei Bezirke nicht auf. Stadtteilprägend ist eher die dichte Bebauung aus der Gründerzeit in Bahnhofsnähe, die sich nach Westen immer mehr auflockert. Auch die meisten statistischen Indikatoren sind in beiden Stadtbezirken fast identisch: Beim Pkw-Bestand (rund 250 je Einwohner), der durchschnittlichen Wohnfläche pro Wohnung (60 Quadratmeter) oder dem Durchschnittsalter (37,5) gibt es praktisch keine Unterschiede. Auch die Wohnzufriedenheit liegt mit Werten von 78 und 80 auf einem Level – jeweils knapp unter dem Durchschnittswert der Gesamtstadt.

Es gibt jedoch auch deutliche Unterschiede: So ist der Anteil von Sozialleistungsempfangenden im Alt-Stühlinger fast dreimal so hoch wie im Eschholz (12,6 statt 4,8 Prozent), auch der Arbeitslosenanteil ist mehr als doppelt so hoch (5,2 statt 2,4 Prozent). Auffällige Unterschiede zur Gesamtstadt zeigt die Bevölkerungspyramide: Die Gruppe der 20- bis 40-Jährigen ist deutlich überrepräsentiert, alle anderen Altersgruppen sind dagegen weniger vertreten als im Stadtschnitt. Eine mögliche Erklärung liefert die Aufschlüsselung nach Haushaltsgrößen: Während stadtweit nur etwas mehr als die Hälfte aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte sind, sind es im Stühlinger fast zwei Drittel. Politisch gesehen kann man den Stühlinger als Hochburg der Linken ansehen; sowohl bei den vergangenen Bundestagswahlen als auch bei den Kommunalwahlen lagen deren Listen deutlich über dem städtischen Schnitt. Auch die Grünen schneiden im Stühlinger sehr gut ab und stellen hier aktuell mit rund 25 Prozent die stärkste Partei.