Overlap: Tobias Buckel / Aleschija Seibt

Vernissage: 30.06. 19 Uhr

Ausstellung: 1.7. - 30.7.2017

Begleittext zur Ausstellung „overlap“ von Aleschija Seibt und Tobias Buckel
von 30. Juni – 30. Juli 2017 im Kunsthaus L6, Freiburg im Breisgau

von Thomas Schlereth

Mit einem Raum bildnerisch umgehen: Als verdanke sich der Zustand der räumlichen Gegebenheiten
einer Komposition, die nur noch umWeniges erweitert werden will; als wäre das meiste
schon da, was sie sehenswert macht und lohnend, als Bild betrachtet zu werden; als wären die
verschiedenen Materialen, ihre Oberflächen und das Licht, in dem sie sichtbar werden, allem
voran für das Augenmaß und den Spürsinn zusammengekommen. Bildlicher Raum, einerseits.
Sich mittels Bild Raum erschließen: Als eröffnete die Fläche zwischen den Bildrändern Wege in
ein Inneres, das zu erkunden dieWelt geräumiger macht; als wären die Farben so vertraut wie das
Atmen, wenn sie sich von hier nach da ausdehnen, zusammenziehen und wandeln; als gäben die
niedergelegten Gesten einen Hinweis im Hier und Jetzt; und als stünden den Augen von dorther
alle Seiten und Richtungen offen, um sich voranzutasten und locken zu lassen, weiter und wieder
zurück. Bildlicher Raum, andererseits.
Wenn Bilder und Räume zusammenkommen und diese Zusammenkunft über Bilder in Räumen
einerseits und Räume in Bildern andererseits hinausgeht, entstehen bildliche Räume. Sie umfassen
dann mehr als etwas, das sich aufzählen ließe. Auch wenn sie geplant, künstlich hergestellt und
mit Aufwand inszeniert werden, kommt in ihnen ein Moment hinzu, das über das Gemachte
hinausgeht. Eine Ausstrahlung und Gestimmtheit, die stets etwas Eigensinniges beimischt. Der
Schatz ihrer Möglichkeiten ist groß: Bildlicher Raum.

Im Fall der gegebenen Ausstellung beginnt das bildliche Geschehen schon vor der Türe. Ein
Tanzboden reicht bis hinaus in den Flur. Er wölbt sich über die Schwelle, die nun mehr verbindet
als trennt, und folgt weiter der Flucht, die der Eingang in den Raum zeichnet. Die Maße des
PVC-Segmentes sind dem Grundriss entnommen – die Länge vom Eingang bis zur Stirnwand
macht nun allerdings einen Schritt nach draußen. Dieser längs gerichteten Verschiebung antwortet
die querlaufende Staffelung der vier großen Nesselstoffe. Von der Decke bis zum Boden teilen
sie ihren Bereich etwa gleichmäßig unter sich auf. Bei aller Geschmeidigkeit der Gewebe findet
Verdichtung statt – die Verschiebung längs, die Verdichtung quer.
Mit dem Nähertreten kommt in den Blick, dass Aleschija Seibt1 einige Aussparungen in die Reihe
der Stoffe vorgenommen hat. Mit etwas Glück erklären sich deren Formen von selbst: Dann stellt
sich nochmals der Moment ein, in dem das Sonnenlicht durch die Glasbausteine der Fensterbänder
scheint und die Form-Vorlage auf den Stoff projiziert. Nun kann es hindurchtreten, eine
Stofflage weniger gefiltert bis zur nächsten Wand aus Gewebe. Die Aussparungen geben sich als
Einlassungen zu erkennen.
In ausgewogenem Verhältnis zu diesen materialen Interventionen zeigt nicht nur die Öffnung
des Eingangs in den Raum. Von derselben Wand her begegnet eine großformatige Malerei, ein
entschiedenes Hochformat. In ihm versammelt sich in vielen Nuancen zwischen Schwarz und
Weiß ein Spektrum von Flächen und Linien. Und auch der Farbauftrag gestaltet sich reichhaltig
– von zarter Lasur, über halbsatte Wischung, bis zu deckendem Überzug. Überlagerungen und
Verzahnungen, Aufreihungen, Übergänge und Zäsuren – die Augen haben gut zu tun, ihrem
Bedürfnis nach Ordnung und Struktur nachzukommen. So sehr ihnen das Bild mit zahlreichen
Orthogonalen und farblichen Kontrasten darin entgegenkommt, hält es das visuelle Buchstabieren
auch in der Schwebe, denn kein Muster vermag es so recht, sich als Formel durchzusetzen.
Struktur und Schwebe verzahnen sich ihrerseits.


Mit der nächsten Malerei, die hinter den Stoffen erscheint, spannt Tobias Buckel2 die Farben um
den Raum des Blaus weiter auf. Nunmehr ausschließlich in Linien füllen Varianten zwischen Lichtund
Himmelblau das Format und gruppieren sich zu Streifen und Feldern. Dahinter klingen im
zinkweißen Grund verschiedene Spuren von Gelb an. Erneut begegnet damit eine vielstimmige
Rhythmik aus Feldern und Schichten. Und wieder stammen die Läufe aus Bewegungen einer
freien Hand, die sich zumeist wohl an Hilfslinien orientierte, aber durchgehend für abweichende
Impulse empfänglich blieb.
Ein zweiter Stoffbezirk filtert den Übergang in den hinteren Bereich des Ausstellungsraumes. Für
das Licht gibt es wieder die Option, sich auch quer durch die Hängung der Gewebe zu bewegen.
Ob direkt durch die vereinzelten Aussparungen oder indirekt durch die Maschen der Textilien –
schrittweise dringt die Helligkeit in die neuen Gangsituationen vor und stuft sich ab. Gemeinsam
mit dem leichtenWehen der Stoffoberflächen umfängt dieses Stofflicht jedes Durchschreiten.
In den Fluchten der Textilbahnen befinden sich erneut zwei Großformate. Das erste kokettiert
mit dem Muster einer Backsteinwand und gibt sich doch an jeder Stelle als Malerei zu erkennen.
Alle Bausteine sind einzeln entstanden, wodurch sie in ihrer Form variieren. Farblich lassen sie
gebrannten Ton zwar anklingen, genauer besehen zeigen sie jedoch ein lichtes Inkarnat. Und ganz
ähnlich verhält es sich mit den Liniengefügen, die sich dezent auch in diesem Bild wiederfinden:
Sie könnten perspektivischer Natur sein, gehen in dieser Funktion jedoch nicht auf. Zusätzlich –
und so verhält es sich auch mit den beiden noch hinzukommenden Malereien der Ausstellung –
trägt jeder Linienzug zu einer Flächenordnung bei und entfaltet – sich aus der Geometrie lösend –
seine Wirkung in die Farbräume des Bildes.
Zum Abschluss befinden sich zwei hölzerneWindspiele schon nicht mehr im Innern. Aleschija
Seibt macht mit ihnen erneut einen Schritt nach draußen, vor die Türe des Hintereingangs. Das
Motiv des Hängens kehrt darin wieder; hinzu kommt die Empfänglichkeit für eine weitere Naturgröße:
Neben dem Licht wird insbesondere die Bewegung der Luft angesprochen. Beide sind
willkommen.
So bieten sich die Arbeiten von Aleschija Seibt und Tobias Buckel vor allem als Umgebung dar. Sie
rahmen die Bewegungen im Raum, nehmen Tendenzen und Strukturen von dort auf und geben
eine Gestimmtheit zurück, die sich auf leise Töne und das Beiläufige versteht. Ganz bewusst
führen sie weder ein Subjekt noch ein Objekt vor. Stattdessen die Aufnahme einer Raumflucht
und eines Lichtstrahls, oder das nochmalige Austarieren und Abwiegen der Bildelemente, auf
dass sie die Augen aufWanderschaft einstimmen und sich aufhalten lassen im bildlichen Raum.

1 *1983 in Giengen a. d. Brenz, 2005–11 Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, u.a. bei Prof. Toon
Verhoef
2 *1978, 2007–11 Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg bei Prof. Thomas Hartmann und am Chelsea
College of Art and Design London