Bauen mit Holz im Quartiersmaßstab

Freiburg setzt neue Maßstäbe im urbanen Holzbau

Bauen im Quartiersmaßstab – Dietenbach (Visualisierung: Link 3D)
Bauen im Quartiersmaßstab – Dietenbach (Visualisierung: Link 3D)

Mit der Abschlussveranstaltung zum Forschungsprojekt „Urbaner Holzbau im Quartiersmaßstab“ setzt Freiburg im Rahmen der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg neue Maßstäbe für den Holzbau. Ziel des Projektes war es, die Ressource Holz verstärkt in städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen zu integrieren.

Zusätzlich will die Stadt einen stetig wachsenden Kohlenstoffspeicher aufbauen und Impulse für die regionale Wertschöpfungskette Forst & Holz setzen. Die Abschlussveranstaltung hat gezeigt, dass die Stadt Freiburg, das Land Baden-Württemberg und die Branche bereit sind, gemeinsam den nächsten Schritt zu gehen. Der Holzbau erhält eine einzigartige urbane Bühne.

Zukunftsstadtteil zwischen besonderen Herausforderungen und einzigartigen Chancen.

Als eine der größten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen Deutschlands schafft der Freiburger Stadtteil Dietenbach mit 6.900 Wohneinheiten für rund 16.000 Menschen bis in die 2040er Jahre nicht nur besondere Herausforderungen im urbanen Kontext, sondern auch einmalige Chancen, die Potenziale nachwachsender Baustoffe zu nutzen. Baubürgermeister Prof. Dr. Martin Haag betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung eines zukunftsweisenden, klimaneutralen Stadtteils und unterstreicht den hohen Anspruch der „Green City Freiburg“. Dabei sieht er in den Forschungsprojekten nicht nur das Potenzial des Holzbaus als attraktiven Baustoff der Zukunft - „Holz sells“ - sondern fordert ein mehrdimensionales Denken und die Zusammenführung der sozialen und ökologischen Fragen. Auch Bernhard Panknin, Referatsleiter im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) betont in seiner Eröffnungsrede die Bedeutung nachhaltiger Architektur und sieht in dem Holzbau eine „sofort mobilisierbare Lösung“, die für den kommunalen Klimaschutz unverzichtbar ist. Ein Zusammenhang, der sich eindrucksvoll in den Zahlen der Projektergebnisse widerspiegelt. Während durch den intensiven Einsatz mineralischer Baustoffe in Dietenbach CO2-Emissionen in Höhe von bis zu 212.800 Tonnen freigesetzt werden könnten, setzt die Verwendung organischer Baustoffe aufgrund einer negativen Bilanzierungskomponente (Bindung von atmosphärischem Kohlenstoff durch Pflanzenwachstum) einen gegenläufigen Prozess in Gang. So könnte Dietenbach bereits bei einer Holzbauquote von 50 % durch den Bau mehr atmosphärischen Kohlenstoff binden als an terrestrischen bzw. fossilen Kohlenstoff freigesetzt wird. Bei einer Holzbauquote von 90 % erhöht sich die CO2-Speicherung sogar auf 190.029 Tonnen CO2.. Dietenbach wirkt als externer CO2-Speicher im Quartiersmaßstab.

Dies sind Zusammenhänge, die die Notwendigkeit des urbanen Bauens mit Holz aufzeigen, aber auch zentrale Fragen der Machbarkeit und des Transfers „von der guten Idee zur Umsetzung“ aufwerfen. Das von der Stadträtin Dr. Maria Hehn initiierte und vom MLR geförderte Forschungsprojekt „Urbaner Holzbau im Quartiersmaßstab in Freiburg“ hat deshalb untersucht, ob ein neuer Stadtteil in der Dimension von Dietenbach weitgehend aus nachwachsenden Rohstoffen gebaut werden kann. Die Faszination Holzbau wird in neuen Maßstäben gedacht.

Faszination Holzbau in neuen Maßstäben

Mit der Frage nach dem „Altbau von morgen“ leitete der Berliner Architekt Prof. Tom Kaden nicht nur seinen Vortrag und die Vorstellung bereits realisierter Holzbauprojekte ein, sondern hinterließ bei allen Anwesenden ein inspirierendes Bild. Es sind nur drei Worte. Und doch konkretisieren sie Zukunft und Verantwortung von Dietenbach. Darüber hinaus erklärt Tom Kaden, warum uns die Zeit für „Materialneutralität“ fehlt. Er zeigt Freiburg anhand verschiedener Projekte seine Vision vom Altbau der Zukunft: ökologisch leistungsfähig, technisch präzise, flexibel wandelbar und ästhetisch. Eigenschaften, die insbesondere der moderne Holzbau hervorbringen kann und den Altbau von morgen bereichern könnte. Auch in Freiburg. Auch in Dietenbach. Beeindruckt zeigt sich Tom Kaden in der Podiumsdiskussion vom politischen Willen der Stadt Freiburg und der proaktiven Bereitschaft hin zu dem von Prof. Dr. Bastian Kaiser (Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg - HFR) geforderten organisch gebauten „externen Kohlenstoffspeicher“. Um diese Faszination in neue Dimensionen zu überführen, wurden im Rahmen des Projektes Holzverfügbarkeit, Betriebskapazitäten, rechtliche und technische Rahmenbedingungen, sowie die transparente Messbarkeit ökologischer Leistungen erarbeitet. Die gemeinsamen Ergebnisse der Projektgruppe zeigen: Stadt und Branche sind bereit für den nächsten Schritt - Holzbau im Quartiersmaßstab ist nicht nur notwendig, sondern auch machbar.

Neubau Campuserweiterung in Holzbauweise (Holzskelett, Holzhybridbau); Architektur - Kaden + Lager GmbH  (Quelle: uwh | Kaden⁺ (kadenplus.de))
Neubau Campuserweiterung in Holzbauweise (Holzskelett, Holzhybridbau); Architektur - Kaden + Lager GmbH  (Quelle: uwh | Kaden⁺ (kadenplus.de))
Entwicklung neuer Musterstadtteile am Beispiel Dietenbach (Grafiken: Link 3D / Stadt Freiburg)

Stadt und Branche sind bereit für den nächsten Schritt

So zeigte die Projektgruppe Dietenbach (Prof. Dr. Rüdiger Engel und Petra Lautner), dass der Stadtteil in fünf Bauabschnitten realisiert werden soll, wobei ökologische Ambitionen (klimaneutrale Stadt Freiburg bis 2035) mit sozial- und wohnungspolitischen Zielen (50% geförderter Mietwohnungsbau) verbunden werden sollen. Dabei kommt den Entscheidungskriterien bei der Grundstücksvergabe, die den sozialen, städtebaulichen und ökologischen Beitrag honorieren, eine besondere Bedeutung zu. Um der ökologischen Verpflichtung gerecht zu werden, wurde der „Graue Energie-Rechner“ zur Messbarkeit der Emissionen als zentraler Bestandteil der Bewerbung vorgestellt. Klimarelevante Leistungen und die Vorteile nachwachsender Baustoffe werden transparent. Des Weiteren wurde die Bedeutung eines Wissensspeicher mittels einer Datenbank von Henry Heinen (Baurechtsamt) und Daniel Steiger (sutter3) vorgestellt. Als Wissensspeicher ermöglicht die Datenbank einen Überblick über bisher realisierte Projekte in den Gebäudeklassen 4 und 5. Das Projektportfolio zeigt: Holzbau kann mehrgeschossig. Der moderne Holzbau, so die Referenten, ist nicht nur mehrgeschossig, sondern auch vorgefertigt, präzise und digital. Dabei muss der Austausch (Brandschutz, Schallschutz, Statik, Details) vor allem digital und zwischen den verschiedenen Akteuren optimiert werden. Dann können BIM-Strategien (Building Information Modeling) urbane Holzbau-Strategien katalysieren. Bei allen klimarelevanten Vorteilen des Holzbaus stellt sich jedoch die Frage der (Schnittholz-) Verfügbarkeit. Hier konnte die Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg mit dem Vortrag von Annette Müller-Birkenmeier vorweisen, dass bereits 4 % des Holzeinschlags in einem Umkreis von 50 km um Dietenbach den Rundholzbedarf decken. Ebenso konnte bestätigt werden, dass die Kapazitäten sowohl in der Schnittholz- als auch in der Ausführungs-/Konstruktionsphase den Bedarf übersteigen - „die Branche ist bereit“.

Pionierarbeit mit Verantwortung

Trotz der geschaffenen Rahmenbedingungen zeigten das abschließende Holzbausymposium und die Podiumsdiskussion, dass der Holzbau auch durch weitere Fördermittel katalysiert werden muss. Hier musste Dr. Eckart Meyberg vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen in Stuttgart mit seiner Zuständigkeit für die Wohnraumförderung einwenden, dass die Förderung materialneutral ist und das kostengünstige(re) Konzept im Vordergrund steht. Der Holzbau müsse es also aus eigener Kraft schaffen, so günstig wie möglich zu werden. An dieser Stelle nahm die Diskussion an Fahrt auf. Tom Kaden erklärte, dass aus Architekten-Perspektive und aus baulicher Sicht die Zeit für Materialneutralität abgelaufen sei - „Neutralität können wir uns nicht mehr leisten“ und hob gerade hier den politischen Willen der Stadt Freiburg als beeindruckend hervor. Raphael Riesterer (Geschäftsführer der Zimmerei Steiger & Riesterer GmbH) betonte in diesem Zusammenhang, dass der Holzbau auch wirtschaftlich leistungsfähig sei - insbesondere unter Berücksichtigung der Klimakosten. Holzbau-Pionier Willi Sutter ergänzte - „Richtig geplant ist Holzbau günstig“ und sieht noch großes Potenzial in der BIM-Technologie, der Vorfertigung und der Digitalisierung der (Bau-)Behörden. Dennoch ist sich die Holzbaubranche einig, dass die klimarelevanten Leistungen des Holzbaus durch eine entsprechende Förderlandschaft stärker honoriert werden sollten. Prof. Bastian Kaiser (HFR) betonte, dass die ambitionierten Klimaziele eine Priorisierung und keine Diskriminierung in der Materialität erfordern. Eindrucksvoll differenzierte er zwischen „preiswert“ und den „Preis wert“. Worte, die wieder an den Altbau von morgen erinnern und die Frage nach möglichen Zukunftsszenarien und Ambitionen so unverzichtbar machen. So trifft Dr. Bernd Wippel (unique land use GmbH) als Moderator mit der Frage nach dem Dietenbach in 10 Jahren den Kern der Diskussion und stellt die Bedeutung von Routine, Umsetzung und Skalierung in den Raum. Ein Zusammenhang, den Dr. Magdalena Szablewska als technische Geschäftsführerin der Freiburger Stadtbau GmbH weiterführt, indem sie besonderes Potenzial in einfachen, durchdachten und vorgefertigten Bauprojekten sieht. So stellt sie die Vision in den Raum, dass Freiburg auch für nachfolgende Kommunen Barrieren für das Bauen mit Holz abbaut und Deutschlandweit für entsprechende Bauweisen motiviert. Auch Eckart Meyberg sieht in Freiburg die Bedeutung, als „Best-Practice“ - Beispiel voranzugehen und Anreize für andere zu schaffen: „aus Erfahrung Überzeugung schaffen“. Dazu müsse man in Freiburg aber zunächst „die Ärmel hochkrempeln“ (Willi Sutter) und strengere CO2-Betrachtungen anstellen (Raphael Riesterer). Auch um entsprechende Holzbau-Visionen zu initiieren.

Ein Bild, das bleibt

Dies sei nach Baubürgermeister Prof. Dr. Martin Haag eine schwere, aber nicht unmögliche Aufgabe, die weitere Unterstützung der vertretenen Ministerien verlangt. Getreu dem Arbeitsmotto „tun tun tun“ glaubt Haag an gute und preiswerte Gebäude, um die ökologisch-soziale Balance zu wahren. Dafür müsse man sich aber „verdammt anstrengen und dazulernen“ und die Gemeinschaftsaufgabe gemeinsam lösen. Dabei hat Petra Habammer als Vorsitzende der Architektenkammer Baden-Württemberg, Kammergruppe Freiburg, mit ihrer Vision und Hoffnung im Zuge der Podiumsdiskussion den Ausblick geschaffen. Sie wünscht sich, dass man heute schon schaut, was in 60 Jahren sein wird und verbindet den Altbau von morgen mit einem aussagekräftigen Bild – die Wiehre.

Ein Freiburger Stadtteil, der für zeitlose Lebensqualität steht und über Generationen hinweg begeistert. Veranlasst und ausgebaut vor über 100 Jahren von Oberbürgermeister Otto Winterer - dem Namensgeber der Veranstaltungsadresse (Wintererstraße 1, Freiburg). Mit dem Zeitsprung und der Vision eines von Holzbau geprägten Stadteils Dietenbach zeichnete die Veranstaltung ein motivierendes Schlussbild.

Von Moritz Peitgen, unique land use GmbH

Teilnehmende der Podiumsdiskussion von links Bastian Kaiser, Eckart Meyberg, Willi Sutter, Raphael Riesterer, Magdalena Szablewska, Bernd Wippel, Petra Habammer, Tom Kaden
Teilnehmende der Podiumsdiskussion von links Bastian Kaiser, Eckart Meyberg, Willi Sutter, Raphael Riesterer, Magdalena Szablewska, Bernd Wippel, Petra Habammer, Tom Kaden
Projektteam „Urbaner Holzbau im Quartiersmaßstab“ von links: Cordula Böhler, Bürgermeister Martin Haag, Britta Neumann, Stadträtin Maria Hehn, Bertil Burian, Annette Müller-Birkenmeier, Daniel Steiger, Bernd Wippel, Holger Ratzel, Petra Lautner, Henry Heinen, Rüdiger Engel, Moritz Peitgen
Projektteam „Urbaner Holzbau im Quartiersmaßstab“ von links: Cordula Böhler, Bürgermeister Prof. Dr. Martin Haag, Britta Neumann, Stadträtin Dr. Maria Hehn, Prof. Dr. Bertil Burian, Annette Müller-Birkenmeier, Daniel Steiger, Dr. Bernd Wippel, Holger Ratzel, Petra Lautner, Henry Heinen, Prof. Dr. Rüdiger Engel, Moritz Peitgen
Veröffentlicht am 18. März 2024