Montag, 25. März 2019, 18.00 Uhr,  Konzerthaus

Zukunftstrends der Stadtentwicklung

Zum Auftakt der Zukunftsforen 2019 hat Trendforscherin Oona Horx-Strathern vom Zukunftsinstitut drei Megatrends der gesellschaftlichen Entwicklung in den Fokus gestellt und anhand dieser Beispiele zukünftige Herausforderungen in der Stadtentwicklung aufgezeigt. Anhand von Daten und Fakten ist sichtbar geworden, wie Silver SocietyIndividualisierung und Konnektivität den Bedürfniswandel vorantreiben und welche Anforderungen daraus für die Gestaltung nachhaltig attraktiver Wohn- und Lebensräume resultieren.

Wie sieht unser Leben morgen aus? Von welchen Trends werden Gesellschaft und Wirtschaft gelenkt und geprägt? Welchen Einfluss hat dies auf die Wohn-, Mobilitäts- und Technologiebedürfnisse – und welche Herausforderungen sind daraus konkret für die zukünftige Stadtentwicklung abzuleiten? Trendforscherin Oona Horx-Strathern hat diesen Fragen im Rahmen der Auftaktveranstaltung der Zukunftsforen 2019 Zahlen und Fakten gegenübergestellt und den Fokus dabei exemplarisch auf drei von insgesamt 12 aktuellen Megatrends gerichtet: die Silver Society, die Individualisierung und die Konnektivität. Als Ausgangspunkt der Betrachtungen dient der Blick auf die Evolutionsgeschichte, der zeigt, dass sich die Funktionen des Wohnens über die Jahrtausende kontinuierlich verändert haben – vom Leben in Höhlen über die Agrargesellschaft und das industrielle Zeitalter bis zur heutigen Wissensgesellschaft, vom Schutzraum über Grundbesitz und Privatsphäre bis zur Basis der Mobilität. Eine weitere Erkenntnis der Zukunftsforscher ist, dass jeder Trend eine Gegenbewegung auslöst und die Weiterentwicklung in der Synthese erfolgt.

"Architekten designen in der Zukunft nicht nur Gebäude.
Sie schaffen Raum für Beziehungen."

Megatrend Silver Society

Die steigende Lebenserwartung hat in der Gegenbewegung zu einer biographischen Verjüngung geführt; dies findet Ausdruck in einem im Bezug auf das Lebensgefühl verzögerten Alterungsprozess der Generationen. Das Phänomen „Downaging“ bringt entsprechend veränderte Lebensformen hervor; haben die Menschen in den 60er Jahren noch ein Haus für das Leben gebaut, so zeigt sich heute verstärkt die Tendenz zum Phasen-Wohnen, bedingt durch spätere Bindung und Familienplanung, häufigere Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Partner sowie lebenslanges Lernen und Aktivität bis ins hohe Alter.

"Im Jahr 2050 leben 75 % der Weltbevölkerung in Städten; 30 % von ihnen sind über 60 Jahre."

Die gute Nachricht: Wissenschaftliche Analysen belegen, dass das Alter zunehmende Zufriedenheit mit sich bringt; Stress, Sorgen und Ärger nehmen zur Mitte des Lebens sukzessive ab. Als gleichermaßen bewiesen gilt, dass ältere Menschen, die mobil sind und Anteil am lokalen öffentlichen Leben nehmen können, glücklicher sind. Dies stellt die Stadtentwicklung vor die Aufgabe, Lebensräume zu schaffen, in denen Mobilität und Sozialkontakte gewährleistet sind.

Megatrend Individualisierung

Die Single-Gesellschaft hat das vorherrschende Familien-Modell der 60er Jahre überholt; heute sind 41 % der Haushalte in Deutschland Einzelhaushalte, in Großstädten wie Hamburg, Bremen oder Berlin liegt der Anteil bereits über 50 %.

Das Bestreben um stetige Individualisierung hat im Gegenzug ein wachsendes Bedürfnis nach Kooperation und Vernetzung hervorgebracht. In der Folge entstehen neue Kooperations-Kulturen, die Individualität wird in der Gemeinschaft gelebt und die Qualität des Wohnraums verstärkt an der Qualität der Gemeinschaftsflächen gemessen. Co-Living, Co-Housing, Co-Working, Co-Mobility und Co-Gardening zählen zu den Schlüsselbegriffen der Zeit. Dies stellt die Stadtplaner vor die Aufgabe, multifunktionale Wohn- und Lebensräume zu realisieren, die Privat- und Gemeinschaftsflächen intelligent verbinden und eine hohe Lebensqualität schaffen. Der Verzicht auf großzügigen persönlichen Rückzugsraum erschließt den Zugang zu attraktiven Komfort- und Serviceflächen; Bibliothek, Gästezimmer, Sauna, Fitnessbereich und Kinderspielzimmer bieten einen Nutzenmehrwert und zwischenmenschliche Kontaktpunkte, die Integration von Gewerbe, Kinderhort, etc. garantiert kurze Wege.

"In der Zukunft wird die Nachfrage nach Wohnraum nicht mehr von der Quadratmeterzahl bestimmt. Sondern von der Qualität der Shared Spaces."

Damit dies attraktiv und bezahlbar gelingt, sind neue Bauweisen und mikro-modulare Konzepte gefordert, die menschlich-soziale Bedürfnisse und baulich-funktionale Aspekte bestmöglich miteinander in Einklang bringen. Wie dies gelingen kann, zeigt Oona Horx-Strathern anhand verschiedener Beispiele auf, u. a. aus Wien, London und Rotterdam. Darüber hinaus gilt es, eine hohe Diversität zu gewährleisten und die Menschen in den Austausch zu bringen, damit lebendige Beziehungen entstehen.

Megatrend Konnektivität

Der Auseinandersetzung mit diesem Thema gehen zwei Fragen voraus: Was macht eine Stadt wirklich smart – die Verbindung zu Menschen oder der Zugang zu Technologie? Und was ist die wahre Aufgabe einer Stadt? Oona Horx-Strathern hat eine klare Antwort darauf: Beziehungen bauen! Sie stellt dazu die These der Soziologin Saskia Sassen in den Raum, nach deren Aussage echte Smartness nicht vom Level der Digitalisierung abhängt, sondern von der Umsetzung des Wissens der Bewohner, und zitiert die Architektin Jeanne Gang:
 

"Architekten entwerfen keine Gebäude. Was sie wirklich gestalten, sind Beziehungen. Weil es in Städten um Menschen geht."

Jeanne Gang

Die Stadtentwicklung stellt dies vor die Aufgabe, das „System Stadt“ verstärkt als Ganzes zu betrachten und Lösungen zu realisieren, die Interaktion und Beziehungen sowie ein lebendiges Gemeinschaftsleben fördern und der Vereinzelung entgegenwirken. Statt die Menschen so gut wie unmerklich aneinander vorbei zu lenken und Sichtbarrieren zu errichten, gilt es nunmehr, gemeinsame Wege und öffentlichen Wohnraum zu erschließen, die Begegnung ermöglichen.

Fazit

Was sind die Zukunftstrends der Stadtentwicklung und welche Herausforderungen resultieren daraus? Stellt man die beispielhaft dargestellten Trends Silver Society, Individualisierung und Konnektivität gleichbedeutend nebeneinander, so lautet das Fazit dieser Veranstaltung: Beziehungen bauen! Übertragen auf die Gestaltung zukünftiger Wohn- und Lebensräume bedeutet dies stark vereinfachend: bestmögliche soziale und mobile Einbindung gewährleisten, Privat- mit Gemeinschaftsflächen verschmelzen und attraktive, intelligent-durchdachte Komfortzonen und Kontaktpunkte schaffen sowie die Stadt als Lebensraum einer lebendigen Gesellschaft zu betrachten und den Bedürfnissen einer solchen Gesellschaft mit interaktions- und beziehungsförderlichen Konzepten Rechnung tragen.

Übertragen auf die Gestaltung attraktiver Wohn- und Lebensräume für die Zukunft bedeutet das Fazit „Beziehungen bauen!“ übersetzt in konkrete Aufgaben stark vereinfachend:
bestmögliche soziale und mobile Einbindung gewährleisten

  • bestmögliche soziale und mobile Einbindung gewährleisten
  • Privat- mit Gemeinschaftsflächen verschmelzen lassen und intelligent-durchdachte Komfortzonen und Kontaktpunkte schaffen sowie 
  • das „System Stadt“ als Lebensraum einer lebendigen Gesellschaft zu betrachten und den Bedürfnissen einer solchen Gemeinschaft in der Stadtentwicklung mit interaktions- und beziehungsförderlichen Konzepten Rechnung zu tragen.

Oona Horx-Strathern ist seit über 20 Jahren Trendforscherin, Beraterin, Rednerin und Autorin. Sie hat Bücher über die Geschichte der Futurologie und der Architektur der Zukunft geschrieben und an zahlreichen Studien des Zukunftsinstituts mitgearbeitet. In ihrem Vortrag betrachtet sie das „System Stadt“ als Ganzes und beleuchtet, wie technische Innovationen mit gesellschaftlichen Veränderungen und Bedürfnissen einhergehen.

Oona Horx-Strathern