Erläuterungsschild beschlossen

Staudingerstraße

Datum der Benennung

29. Dezember 1972

Damalige Begründung der Benennung

Diskussion wegen einer Straßenbenennung nach dem Tode Staudingers. Magda Staudinger (zweite Frau) lehnt den Vorschlag, die Kreuzung Bismarckallee/ Friedrichsring nach ihrem verstorbenen Mann zu benennen, als unpassend ab (18.1.1968). Oberbürgermeister Keidel zieht daraufhin den Antrag zurück. Im Zuge der Eingemeindungen wird die Tunibergstraße (da eine solche auch in Tiengen existiert) in Staudingerstraße per Gemeinderatsbeschluss am 29. Dezember 1972 umbenannt. Die Ehrung erfolgte, wie die Heideggers zu einem Zeitpunkt, als Staudingers tiefe Verstrickung mit dem Nationalsozialismus wegen der nicht zugänglichen Universitätsakten und fehlender Studien zu Chemikern in der NS-Zeit unbekannt waren. Erst der 1995 publizierte Aufsatz von Bernd Martin über die Entlassung der jüdischen Lehrkräfte an der Freiburger Universität (Freiburger Universitätsblätter) und die Arbeit von Ute Deichmann (2001) brachten das antisemitische, systemkonforme Verhalten Staudingers ans Tageslicht.

Name, Vornamem Beruf, Funktion oder Amt:

Staudinger, Hermann (1881-1965). 1926-1951 Professor für Chemie in Freiburg, 1953 Nobelpreis.

Kurzbiographie

Dennoch ist die Beurteilung dieser Anpassung Staudingers, die weit über das geforderte Maß hinausging, schwierig, da er 1933 von Rektor Heidegger wegen seiner pazifistischen Grundhaltung im Ersten Weltkrieg bei der Landesregierung denunziert worden war. Staudinger musste daraufhin zwei Verhöre in Karlsruhe über sich ergehen lassen und sein eigenes Rücktrittsgesuch aufsetzen. Dieses blieb auf Intervention einflussreicher Kreise der chemischen Industrie unbeantwortet liegen, seine Existenz als Hochschullehrer folglich in der Schwebe. Staudinger wurde gewissermaßen aus Sorge um seine Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Polymere gezwungen, Wohlverhalten an den Tag zu legen. Im Jahre 1935 wurde er förderndes Mitglied der SS. Auch sah er sich in der Auseinandersetzung mit den Gegnern seines Konzepts der Makromoleküle als Opfer einer jüdischen Verschwörung (Deichmann), sodass ihn wohlmeinende Kollegen vor Übertreibungen warnen mussten. Selbst als es an deutschen Hochschulen keine jüdischen Studierenden mehr gab, sondern nur hier und dort einige 'Halbjuden', beschwerte er sich 1942 beim Rektor und beim Reichserziehungsministerium 'über zu viele Mischlinge'. Er musste sich daher von Berlin sagen lassen, dass diese 'jüdischen Mischlinge' mit Genehmigung des Ministeriums studierten. Außerdem verwahrte er sich beim Rektor gegen die vielen putzsüchtigen Studentinnen in seinen Vorlesungen, Staudingers Institut betrieb zudem ‚wehrchemische’ Forschungen und galt zusammen mit dem Institut für Physik als das kriegswichtigste an der Universität. Gelder der Industrie und der Deutschen Forschungsgesellschaft flossen reichlich, sodass Staudinger 1940 ein Institut für makromolekulare Chemie an der Freiburger Universität begründen konnte. Ob Staudinger an der Weiterentwicklung von Giftgasen beteiligt war, ist nicht eindeutig nachweisbar. In seinem Rechenschaftsbericht vom 6. Juli 1945 über die Lehrtätigkeit in nationalsozialistischer Zeit war von all dem keine Rede.


Begründung

Staudinger wurde schon während seiner Freiburger Zeit (1926-1951) hoch geehrt, galt als einer der führenden Chemiker der Welt und erhielt 1953 den Nobelpreis für Chemie. Trotz all dieser Verdienste wiegen das ‚Sich-Anbiedern’ an den Nationalsozialismus und seine kriegswichtigen Forschungen schwer.

Empfehlung

Die Kommission kam einstimmig zu dem Beschluss, den Straßennamen mit einem Ergänzungsschild auf Staudingers Antisemitismus und seine wehrwissenschaftlichen Forschungen zu versehen. Sollte sich der Gemeinderat für eine Umbenennung entscheiden, käme als Neubenennung der jüdische Chemiker Hevesy in Frage, der Deutschland 1935 freiwillig verließ.

Vorschlag

Hermann Staudinger (1881-1965). Professor für Chemie, 1953 Nobelpreis, starke Anpassung nach Denunziation an das nationalsozialistische Regime durch Diffamierung jüdischer Kollegen und Studierender.

Erläuterungsschild beschlossen: (Gemeinderatsbeschluss vom 25.07.2017)

Hauptschild:
Staudingerstraße
Hermann Staudinger, 1881–1965, Chemiker und Nobelpreisträger
Magda Staudinger, 1902–1997, Botanikerin

Erläuterungsschild:
Die Straßenbenennung erfolgte 1972. Hermann Staudinger gilt als einer der führenden Chemiker seiner Zeit. Erst Pazifist, passte er sich im NS-Regime zunehmend der NS-Ideologie an und betrieb kriegswichtige Forschungen.