Über diese Fragen wurde in der „Regionalen Infoveranstaltung der Altenhilfe in Kooperation mit der AWO-Koordinierungsstelle "Queer im Alter" am 27.10.2021, im Werkraum des Stadttheaters Freiburg, gesprochen. Über 30 Teilnehmer_innen, primär Fachkräfte, die in der Altenpflege, Pflege und der Ausbildung von Pflegepersonal tätig sind, waren anwesend.
Organisiert wurde die Fachveranstaltung von der Geschäftsstelle Gender & Diversity in Kooperation mit dem Amt für Soziales und Senioren (ASS), dem Theater Freiburg, Checkpoint Aidshilfe Freiburg e. V. und im Zusammenwirken mit dem Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Lothar Andrée sowie die Fachexpert_in Nora Eckert, die vom Bundesverband Trans* e.V. für das Thema „trans* und Alter“ mandatiert ist.
Boris Gourdial, Amtsleitung des Amtes für Soziales und Senioren, und Snežana Sever, Leitung der Geschäftsstelle für Gender & Diversity eröffneten die Veranstaltung. Bezugnehmend auf die ertragreiche digitale Fachveranstaltung vom Mai d. J. in dem unterschiedliche Bezüge zur Thematik „Pflege & Vielfalt“ fokussierte wurden, hoben beide einführend hervor, dass Pflege auch immer einen direkten Bezug zu Menschenrechten hat und immer im Zusammenhang von Vielfalt die unterschiedlichen Dimensionen mitgedacht werden müssen, die einen Menschen ausmachen. Dazu gehört das Geschlecht, geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, das Alter, Behinderung, die kulturelle und ethnische Zugehörigkeit oder auch die Religionszugehörigkeit und Weltanschauung sowie der soziale Status von Menschen. Dabei immer im Fokus stehend, ist der Spagat, den die in der Altenpflege Beschäftigten machen müssen, um den Bedarf der fehlenden Fachkräfte zu decken, und den damit oft einhergehenden Ressourcen für Fortbildungen und Sensibilisierungsprozesse. Dies auch im Kontext der nun im zweiten Jahr andauernden besonderen Herausforderungen der pandemischen Entwicklungen rund um Covid-19.
Umso mehr begrüßten die beiden Organistor_innen das erfahrene breite Interesse auf der ersten digitalen Fachtagung im Mai d. J. sowie das Zusammenkommen der Fachkräfte in der Folgeveranstaltung am Nachmittag des 27.10.2021, um das von der AWO entwickelte Modellprojekt zu diskutieren. Die Mitwirkenden Freiburger_innen, die der Einladung gefolgt waren, kamen aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen der (Alten) Pflege sowie aus dem Fachschulbereich der Ausbildung von Pflegefachkräften.
Im ersten Vortrag stellte Lothar Andrée (AWO-Bundesverband) das Modellprojekt „Queer im Alter“ vor, das zum Ziel die Förderung von „Vielfalt als Qualitätsmerkmal in der Pflege“ hat. Als Projektleitung begleitet er die Entwicklung und die Etablierung des Projektes bundesweit und von Anbeginn, das insbesondere die gezielte Öffnung der Altenhilfe für LSBTTIQ* - Menschen zum Ziel hat. Sein Credo dabei lautet, dass geschlechtersensible Pflege, die die Bedarfe von LSBTTIQ-Menschen im Blick hat, für alle Menschen gut ist.
Der Thematik „Transsexualität im Alter“ widmete sich Nora Eckert im zweiten Vortrag. Nora Eckert ist Autor_in, aktives Mitglied bei TransInterQueer e.V. Berlin und mandatiert für das Thema „trans* und Alter“ vom Bundesverband Trans* e.V.
Nach dem spannenden fachlichen Input, diskutierten die die teilnehmenden Gäste mit den Referent_innen und den beiden Gastgeber_innen der Fachveranstaltung.
In Folge eine Zusammenfassung der angeschnitten Themen und aufgeworfenen Fragestellungen:
Wie gehe ich damit um, wenn ich als Mitarbeiter_in merke, dass eine Diskriminierung stattfindet?
Lothar Andrée berichtet, dass sich auch das Projekt zur Öffnung der Altenhilfe für LSBTTIQ mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. In erster Linie sei hierbei das Ziel gewesen, queere Kultur in die Einrichtungen zu bringen. Dabei sei es zum Beispiel symbolisch wichtig gewesen, dass die Mitarbeiter_innen einen Anstecker mit LSBTTIQ-Logo getragen haben. Diese sollten zum einen ein klares Zeichen für Offenheit gegenüber LSBTTIQ-Bewohner_innen setzen, andererseits regten sie aber auch dazu an, das Thema für alle Bewohner_innen zum Gesprächsthema werden zu lassen. Wörtlich sagte Lothar Andrée: „Wir können Leute nicht dazu zwingen, anders zu denken, als sie es möchten, aber Mitarbeiter_innen werden durch die Fortbildungen sensibilisiert, andere zu schützen.“
Auch Nora Eckert betont die Wichtigkeit der Sensibilisierung von in der Pflege arbeitende Fachkräften, für diskriminierende Verhaltensweisen. Wenn diese eine Diskriminierung wahrnehmen, sollten sie darauf geschult werden, wie sie konsequent Schutz für die von Ausgrenzung/Diskriminierung betroffene Person gewährleisten können. Für sie ist es wichtig, über LSBTTIQ-Lebenswelten zu sprechen, denn „besonders im persönlichen Umgang ist es noch leichter, Homo- oder Trans*-Phobie entgegenzuwirken. Das Gespräch darüber ermöglicht Bewegung“.
Welche Wirkung hat die Tatsache, dass Pflegepersonal immer internationaler wird? Wird das Thema LSBTIQ* offensiv angesprochen? Da trifft ja Vielfalt auf Vielfalt…
[…] die Erfahrungswerte sind unterschiedlich: Die Heterogenität wäre z. B. in einer Pflegeklasse (Anm. der Verf.: Pflegeklasse in einer Pflegeschule) sehr groß. Die Heterogenität der Pflegekräfte betont auch Lothar Andrée und weist darauf hin, dass dies nicht bedeutet, dass Pflegekräfte aus dem Ausland oder mit Migrationshintergrund, LSBTTIQ* per se mehr ablehnen würden:
„Selbst wenn Pflegekräfte aus Ländern kommen, in denen LSBTIQ* mehr abgelehnt werden, liegt viel Potenzial darin, dass sie Vielfalt als etwas verstehen, was uns erweitert und neue Begegnungen schafft. Menschen, die selbst Diskriminierungserfahrung gemacht haben, können verstehen, dass Vielfalt etwas sein kann, was ihnen auch gut tut.“
Dahingehend wird hervorgehoben, dass es zwar ein neues Pflegecurriculum gibt, welches eine Sensibilisierung für LSBTTIQ vorsieht, es allerdings kein neues Curriculum für Pflegehilfskräfte gibt und sich gerade dort häufig internationale Pflegekräfte finden lassen. Somit scheint es zentral, welche Voraussetzungen die Altenpflegeeinrichtung, in denen die Pflegehilfskräfte arbeiten, bieten.
Ein_e Teilnehmer_in fügt ergänzend hinzu, dass dies nicht nur für ausländische Pflegekräfte gilt, sondern auch für diejenigen, die ihre Ausbildungen zu Zeiten gemacht haben, in denen LSBTTIQ noch tabuisiert waren. So scheint ein zentraler Aspekt zu sein, dass Voraussetzungen für Sensibilisierung/Fortbildung geschaffen werden müssen, die alle Menschen mitnehmen können.
„Gab es in den Modellprojekten der Arbeiterwohlfahrt „Queer im Alter“ Gelin-gensfaktoren? Wo ist der Prozess besonders gut gelaufen?“
Besonders schwer scheint der Prozess, laut Lothar Andrée gewesen zu sein, wenn die Einrichtungen klein sind. „Größere Einrichtungen könnten eine Öffnung und Sensibilisierung der Einrichtung für LSBTIQ* auf mehreren Schultern verteilen“.
Im Zuge dessen wurde die Frage aufgeworfen, ob es auch Projekte ähnlicher Art für die Akutpflege gibt. Lothar Andrée erklärt, dass es kein konkretes Projekt gibt, sie allerdings stark aus anderen Praxisfeldern angefragt werden. Auch weist er darauf hin, dass es von der Schwulenhilfe Berlin, das Qualitätssigel Lebensort Vielfalt, gibt, dass auch Einrichtungen über die Altenpflege hinaus zertifiziert. Wenn auch der Prozess der Zertifizierung lange dauert, gehe dafür das Bekanntwerden umso schneller: „Auch heterosexuelle Freunde sagen bei diesen Einrichtungen: „Da möchte ich auch leben. Ich will im Alter auch nicht vorgeschrieben bekommen, wie ich zu leben habe.“ Wenn so eine Einrichtung bekannt wird und dort viele Personen leben, die einen freien Lebensstil pflegen, bewerben sich auch entsprechend Pfleger_innen, die sich zu der LSBTTIQ-Community zugehörig fühlen“.
„Welche Rolle spielen kirchliche Träger bei der Öffnung der Altenpflege für LSBTTIQ?“
Hierzu hob Lothar Andrée hervor, dass er für die AWO spricht und somit bisher nur wenig Kontakt zu konfessionellen Trägern hat. Auch sieht er es nicht als Zufall an, dass das Projekt von der AWO initiiert wurde. Für LSBTTIQ könnte sich die Akzeptanz einer konfessionellen Einrichtung als schwieriger gestalten, da die Katholische Kirche, an der Diskriminierung von LSBTTIQ* beteiligt ist/war.
Snežana Sever fügt dem allerdings hinzu, dass sie in verschiedenen Kontakten mit der Erzdiözese Freiburg und der Evangelischen Badischen Kirche immer wieder große Offenheit erlebt habe, Themen über LSBTTIQ_Lebenswelten gemeinsam anzugehen.
Stark ausgewirkt habe sich das neue Personenstandsrecht. Mit der Gesetzesänderung habe die Geschäftsstelle Gender & Diversity viele Nachfragen zum Thema LSBTTIQ_Lebenwelten und Rechte bekommen. Auf unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung bzw. in verschiedenen Arbeitsbereichen, sei es bei dem Standesamt, dem Sozialamt und in unterschiedlichen Beratungsstellen, wird das Thema immer präsenter. Durch die Auseinandersetzung mit der Thematik „Ehe für Alle“ und das neue Personenstandrecht, ist viel „Bewegung“ im Diskurs und der Wahrnehmung von Diskriminierungsaspekten die mit Geschlecht und Vielfalt zu tun haben, gekommen.
Die Veranstaltung endete im anregenden Gedankenaustausch nach den Schlussworten von Boris Gourdial, der die Zufriedenheit der Veranstalter_innen hervorhob, dass die Thematik „Pflege & Vielfalt“ erneut mit verschiedenen fachlichen Inputs beleuchtet werden konnte. Letztlich hat der ertragreiche Diskurs, sowohl in der Fragerunde als auch bei der Diskussion, dazu beigetragen, sich dem breiten Themenfeld „Pflege & Vielfalt“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu nähern.
Der Dank der Veranstalter_innen ging dabei an alle aktiv Mitwirkende. Der anregende fachliche Gedankenaustausch hatte zudem zum Vernetzen, im Sinne von neuen Kontakten oder zur Erneuerung von Kontakten, beigetragen. Dafür geht an alle Beteiligten großer Dank.
Für die Zusammenfassung
Geschäftsstelle Gender & Diversity