Am Morgen war er früh aufgestanden. Pfeifend hantierte er in der Küche herum, bis er das Haus verließ. Hinter ihm fiel die Tür mit einem leisen Klacken ins Schloß. Das Liedchen hatte er mitgenommen.

Annette Voit

15.09. - 04.11.2018

In der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus L6 präsentiert Annette Voit eine neue raumfüllende Installation mit farbigen Papierbahnen. Dieses Farblabyrinth speist sich aus Erinnerungen und Assoziationen. Annette Voit interessiert sich dabei aber nicht für eine monochrome Strenge, vielmehr erzählt sie Geschichten in aufflackernden Momentaufnahmen, deren Verbindung jeweils vom Betrachter gemacht wird. Dabei vermitteln sich Bild und Text gegenseitig und erweitern den poetischen Raum. Diese Durchmischung und gegenseitige Bedingung von Text und Bild sind auch in ihren Künstlerbüchern Triebfeder beim Blättern.

Saaltext
Vielleicht ist Ihnen das Plakat der Ausstellung an den Freiburger Kultursäulen aufgefallen. Vielleicht hat es Sie ja auch hier her gelotst: Am Morgen war er früh aufgestanden. Pfeifend hantierte er in der Küche herum, bis er das Haus verließ. Hinter ihm fiel die Tür mit einem leisen Klacken ins Schloß. Das Liedchen hatte er mitgenommen.Voits kurze Texte haben die Fähigkeit den Leser unmittelbar, für einen kurzen Moment dem Alltag zu entheben. Schon steckt man in einer Geschichte. Der Text evoziert sehr konzentriert eine Stimmung, es entstehen Bilder, Töne, Gefühle im Kopf, die einen begleiten und auch ohne Plot wirksam bleiben, bzw. einen eigenen Plot bilden. Ist es der Anfang einer Geschichte? Wie geht es weiter?In der Ausstellung angelangt ist der Ausstellungstitel schnell wieder präsent. Das Verlassen des Hauses kommt noch einmal in anderer Form vor. Im Gegensatz zu dem Protagonisten, der pfeifend den Haushalt macht, nun eine Frau die heimlich aus dem Haus schleicht: Im Morgengrauen schloß sie leise hinter sich die Tür und schlich die knarrende Holztreppe hinunter. Der Gedanke, daß sie jemand sehen könnte, wie sie das fremde Haus verließ, war ihr unangenehm. Aber außer einer Katze und den Müllmännern begegnete ihr bei diesem Regenwetter niemand.Die Stimmungen sind grundverschieden und erzeugen sehr unterschiedliche innere Eindrücke. Gehören beide Momente zu einer Geschichte, oder ist gar das gleiche Haus gemeint? Die Texte scheinen immer wieder miteinander zu korrespondieren und den Leser auf die Suche nach Sinnzusammenhängen zu schicken. Es ist schon erstaunlich, wie man hier mit Textfragmenten und den eigenen inneren Bildern, Eindrücken und Stimmungen gefangen genommen, quasi in einen Geschichte gebeamt wird. Auch die Collagen-Bücher der Künstlerin operieren mit Geschichten. Ein Roman dient als Anstoß und als materielle Basis um Aspekte daraus assoziativ weiterzuspinnen. Ein Grundstock des ehemaligen Romans bleibt erhalten, wird aber überlagert von Worten und Bildern. Auch hier gibt es keine Kontinuität der Erzählung. Die Collagen bestehen aus gefundenen Bildern, Sätzen die abbrechen, collagierten Worten die im Kreis laufen oder mit dem darunter liegenden Text ein Muster bilden. Der Blick wandert kursorisch zwischen den verschiedenen Text- und Bildebenen. Die Aufmerksamkeit oszilliert zwischen Detail und Gesamtschau, Text und Bildinformation. Neben mythischen Bildwelten tauchen reale Objekte wie etwa Spitzendeckchen aus Papier auf. Auch die Titel der Bücher befinden sich in dieser Spannweite von großer bedeutungsschwangerer Erzählung bis alltagsbezogener Milieustudie: „Die neunhundert endlosen Tage“ und „Der Tag beginnt mit einem deftigen Frühstück“. Grundlage für die Collagen sind Bilder und Textausschnitte, die Annette Voit ständig sammelt. Was ihre Aufmerksamkeit erregt, ob Bild oder Text wird aufgehoben, ausgeschnitten und später in die Collagen-Bücher integriert.Neben diesen Erzählweisen mit Text und Bild gibt es auch Arbeiten, die sich ausschließlich mit dem konzentrierten Einsatz von Farbe beschäftigen. Jedoch sind diese nicht einer monochromen Strenge verhaftet und folgen einer Lehre. Vielmehr scheint auch hier der Betrachter präzise in einen Assoziationsdschungel manövriert zu werden.Läuft man direkt auf die Rauminstallation aus Papier zu, scheint sich eine triste, hermetische Großstadtarchitektur zu eröffnen. Lange graue Bahnen, die sich erst nach dem Knick ins Grüne wandeln. Entlang der Wand entsteht durch Abstrahlung der kräftiger und lebendiger werdenden Farben ein diffuser Verlauf. Beim weiteren Umgehen tauchen Muster auf und Durchblicke offenbaren einen weiteren Innenraum. Dieser wird abwechslungsreicher, glänzender, fragiler. Es scheint als befinde man sich in einem Kabinett, wo nicht mehr nur Farbe, Farbauftrag und Papiergrammatur die Synapsen beschäftigen, sondern auch verstärkt gefundene und vorproduzierte Farbbahnen Alltagsassoziationen in diese fantastische Farberzählung Einzug erhalten. Lederimitat, Folie, Glanzpapier, Girlanden und Geschenkpapier mit Rosen tauchen auf. Ein Kabinett der Freude, wo nun auch - nur an einem Faden befestigt - Papiere tanzen und einen die Orientierung verlieren lassen. Während man hier einer Art Rausch ausgesetzt zu sein scheint ist das Farb-Buch „Gespinst- Teil 1“ im hinteren Ausstellungsbereich intimer und konzentrierter.Ist es eine Geschichte über Farbe? Ein Ausloten was Farbe, Farbabfolgen bedeuten und auslösen können? Hier kann man Anfassen. Man spürt den rauen oder glatten Farbauftrag, die Schwere des Papiers. Man riecht die Farbe und hört das Umblättern oder Knistern der Folien.Gleichzeitig mit dem Farb-Buch kann eine weitere Arbeit betrachtet werden, die Annette Voit 2002 im Kommunalen Kino gezeigt hat. Auf grauem Papier werden Farben benannt. Jedoch nicht nur in abstufenden Adjektiven, sondern mit Wesenszuschreibungen, die Stimmungen oder andere Assoziationen transportieren. Etwa „zartes schüchtern-grünliches Zitron“, „freundlich helles Regengrüngrau“, „frisch-saures Joghurtgrün“ oder „vergilbtes transparentes Dieselgrau“. Die Farben scheinen eine Art Übersetzung zu sein, welche den Transport der Kontexte der Farben zum Ziel haben und wieder, ganz selbstverständlich, den Betrachter in abstrakte, stimmungsgeladene Bildwelten entführt. Wenngleich die Assoziationen, ob zum Farbwort oder zur Farbseite im Buch sehr offen sind, so zieht uns Annette Voit in einen dramaturgisch gestalteten Kosmos mit aufflackernden Erinnerungen, die sich zu je individuellen Verknüpfungen fügen. Kurzgeschichten die mit Wörtern gemalt werden. In einer neuen Tonarbeit hat die Künstlerin sich in einer fremden Sprache vorlesen lassen. Spanisch und Ukrainisch. Versteht man nur einen Teil oder auch gar nichts, dann geht die Aufmerksamkeit auf die Sprachmelodie. Wie wird etwas erzählt? Die Dramaturgie des Textes wird in die gesprochene Sprache übertragen und bekommt erstaunlicher Weise sehr konkrete Züge. Die Spannung steigt, es wird lustig, es findet eine Unterhaltung in verschiedenen Stimmlagen statt. Und schon ist man wieder drin in einer Geschichte, die unkonkret und dennoch mit Inhalt gefüllt ist.