Freiburger Sammlungen

An der Grenze der Wissenschaft. Freiburg - locus occultus

Reihenweise schlichte Metallregale, deckenhoch, bis auf den letzten Zentimeter gefüllt mit Ordnern und Kartons. Ein ganz gewöhnliches Archiv, könnte man meinen, auf den ersten Blick eher unspektakulär, randgefüllt mit Unterlagen und Papier. Lüftet man jedoch den ein oder anderen Kistendeckel oder wirft einen Blick auf die Ordnerrücken, so scheint es, als wäre dieses Archiv doch nicht so gewöhnlich...

Ganz im Gegenteil sieht es aus, als gäbe es hier die ein oder andere Besonderheit zu entdecken. Eine der Kisten etwa enthält ein Sammelsurium aus angelaufenem, verbogenem Silberbesteck, "Spontanfälle" steht auf einigen der Ordnerrücken. Es ist das Archiv des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V. (IGPP).

Das Freiburger Institut, das es so in Europa kein zweites Mal gibt, hat es sich zum Auftrag gemacht, Unterlagen und Objekte zu sammeln, die in Zusammenhang mit außergewöhnlichen, paranormalen Phänomenen stehen. "Das sind Ereignisse, die aus dem üblichen Wirklichkeitserleben hinausfallen – wie etwa Spuk oder Hellsehen", erklärt Uwe Schellinger, Historiker und Archivar des Instituts. Die Kernthemen, mit denen sich das Institut beschäftigt, sind einerseits verschiedene Formen der außersinnlichen Wahrnehmung: Dazu zählen Prä- oder Retrokognition, also die Fähigkeiten, in die Zukunft oder die Vergangenheit zu blicken sowie Telepathie. Ein zweites Feld ist die Psychokinese: Können nicht-physikalische Einflüsse auf die Materie stattfinden? Kann es etwa gelingen, nur mit Gedankenkraft Gegenstände zu verformen? Uri Geller war in den 1970er Jahren nicht der Einzige, der sich hierzu befähigt sah.

Und auch die Erforschung von Spukfällen ist Gegenstand der parapsychologischen Forschung. "Damit sind keine weißen Frauen gemeint, die durch die Wohnung geistern, wie es die Medien oft darstellen", bemerkt Schellinger. "Spuk, das sind Geräusche, die man sich nicht erklären kann, Poltern zum Beispiel. Oder wenn Sachen wie von Geisterhand bewegt werden, Dinge durch die Luft 'fliegen'." Noch heute ist dem Institut eine psychologische Beratungsstelle angeschlossen, an die man sich etwa mit Spuk-Erfahrungen wenden kann.

So machen Berichte und diverse Objekte von Menschen, die entsprechendes erlebt haben, einen Großteil der Sammlung im Keller des Instituts in der Wilhelmstraße 3A aus. Auch Fotographien, Audio- und Filmaufnahmen sowie umfangreiche Pressesammlungen sind dort untergebracht. Da es sich beim IGPP um ein Forschungsinstitut handelt, kommt zudem der international ausgerichteten Forschungsarbeit im Bereich der Parapsychologie und der Anomalistik ein großer Stellenwert zu.

"Wir haben es hier mit einem Forschungsbereich zu tun, der sich an der Grenze der etablierten Wissenschaft bewegt", so Schellinger. Es sind daher meist Privatpersonen, Gesellschaften oder Vereine, die entsprechende Sammlungen anlegen, welche in die gängigen Archive nur schwer Eingang fänden. So auch in Freiburg: Das IGPP ist ein gemeinnütziger Verein, der vorrangig aus privaten Stiftungsmitteln finanziert wird.

Hans Bender (1907-1991), einem Freiburger Psychologen, war es 1950 ein persönliches Anliegen, diesem besonderen Wissenschaftszweig in seiner Heimatstadt ein eigenes Institut zu widmen. Schon in den 1940er Jahren hatte er Ähnliches an der "Reichsuniversität Straßburg" umzusetzen versucht. Der einstige so genannte "Spuk-Professor", Koryphäe im Feld der Parapsychologie und Lehrstuhlinhaber an der Universität Freiburg, war erpicht darauf, alles, was mit dieser Disziplin zusammenhängt, sorgfältig zu dokumentieren. Mit seinem kleinen Team, darunter der bekannte Fotograf Leif Geiges, arbeitete er im Institutsgebäude auf der Eichhalde in Herdern daran, Beweise für die Existenz von Spuk und anderen außersinnlichen Phänomenen zu liefern.

Zwar beschäftigten sich Gelehrtenclubs in Europa und den USA schon seit den 1880er Jahren mit Phänomenen der außersinnlichen Wahrnehmung, doch blieb die Parapsychologie stets marginalisierte Disziplin. Die Gründung des IGPP im Jahr 1950 – sicherlich ein Meilenstein in der Geschichte des Forschungsgebiets – ist vor allem der guten Stellung Hans Benders in seiner Heimatstadt, seinem Durchsetzungsvermögen und seinem Kommunikationsgeschick zu verdanken.

So konnte er nicht nur die nötigen finanziellen Mittel eintreiben, sondern auch die Nachlässe einiger bedeutender Wissenschaftler für das Archiv gewinnen. Das wissenschaftliche Erbe des Sexualmediziners Albert von Schreck-Notzing (1862-1929), der in den 1920er Jahren als gesellschaftliche Events regelmäßig mediumistische Séancen in seinem Haus in München abhielt war die erste dieser Sammlungen des IGPP. Fanny Moser (1872-1953), Zoologin und Spuk-Forscherin, spendete nicht nur ihren Nachlass, sondern zudem eine beachtliche Summe Geld, die die Institutsarbeit nachhaltig finanzierte. Unter den zahlreichen privaten und wissenschaftlichen Nachlässen im Archiv lassen sich auch zwei aus Freiburger Händen finden: Anna Weismann (1871-1953) erforschte in den 1920er Jahren, ob sich mit Tieren kommunizieren ließe und schrieb darüber in der „Zeitschrift für Tierseelenkunde“. Else Liefmann (1881-1970), Hans Benders Patentante – ansonsten eher bekannt als Opfer der NS-Zeit, denn als aufstrebende Wissenschaftlerin – hatte sich als Kinderärztin mit der Chirologie beschäftigt: Lassen sich anhand von Handlinien Krankheiten vorhersehen?

Nach seiner Aufbauphase in den 1950er und 1960er Jahren erlebte das Institut in den 1970er Jahren, im allgemeinen Medienrummel um Uri Geller und Co., als auch Hans Bender zu einer bekannten Persönlichkeit wurde, eine Hochkonjunktur. Im gesammelten Material hat sich dies vor allem dadurch niedergeschlagen, dass sich durch die mediale Präsenz des Institutsgründers mehr Menschen ans Freiburger Institut wandten. Auch in Kriminalfällen wurde die Koryphäe der Parapsychologie einige Male zu Rate gezogen. Vor allem in den 1920er Jahren, doch auch später, bestand die Hoffnung, Hellseher könnten der Polizei helfen, Kriminalfälle zu lösen. "Die sogenannte Kriminaltelepathie war oftmals die ultima ratio, die letzte Hoffnung, wenn die Polizei nicht mehr weiter wusste", so Uwe Schellinger, der selbst zu einem Kriminaltelepathie-Fall zur Klärung eines Mordes auf der Weißtannenhöhe im Schwarzwald geforscht hat.

Nachdem Hans Bender kurz vor seinem Tod 1991 noch einmal sein Verhandlungsgeschick unter Beweis gestellt hatte und sich durch eine große private Stiftung ein weiterer großer finanzieller Spielraum ergab, zog das Institut in neue Räume in die Wilhelmstraße. Von nun an stand weit mehr Platz zur Verfügung und das IGPP konnte weiter professionalisiert werden. Die heterogene Sammlung des Instituts ist zu einem gut sortierten Wissenschaftsarchiv geworden, auch wenn sich die Parapsychologie weiterhin an den Grenzen der Wissenschaft bewegt.

Die Diplomarbeit eines Institutsmitarbeiters, Wolfgang Fach, verfasst in den 1990er Jahren, beschäftigt sich damit, dass der Markt für esoterische Angebote in Freiburg im Vergleich zu größeren Städten wie Berlin oder Frankfurt ausgesprochen groß ist. Schon 1986 schrieb der Journalist Albert Sellner im "Kursbuch" einen Aufsatz mit dem Titel "Freiburg – locus occultus", in dem er beleuchtete, warum gerade Freiburg einen so fruchtbaren Boden für Okkultismus, Esoterik und Spiritismus bietet. Es bleibt ihm jedoch unklar ob das „Pesionopolis“- Phänomen dafür eine Rolle spielt: Freiburg als Stadt, in der überdurchschnittlich viele wohlhabende ältere Menschen leben und die wohlhabende Mittelschicht eine hohe Nachfrage für den esoterischen Markt hat oder ob doch die allfällige Sinnsuche der vielen Studierenden in der Stadt dafür mitverantwortlich ist.

Weitere Hinweise gibt das Sammelwerk "Okkultes Freiburg" (okkultesfreiburg.de) – in dem unterschiedliche Spielarten des Okkultismus – gemeint ist damit die Suche nach unerklärlichen und geheimnisvollen Phänomenen – in Freiburg beschrieben werden. Darin wird Freiburg eine spezifischer Hang zum Okkultismus bestätigt: einerseits begründet in dem urban-modernen Charakter der Stadt, die Verbreitungsmöglichkeiten der Angebote begünstigt. Andererseits begründet durch die Sozialstruktur der Stadt, die in der wohlhabenden Mittelschicht und den vielen zugezogenen, protestantischen Pensionären aus dem Norden eine Abnehmerschaft bietet. Das Phänomen eines okkulten Freiburgs kann also auch verstanden werden als Ergebnis von Angebot und Nachfrage.

Gespräch: Uwe Schellinger und Sonja Thiel
Text: Lisa Blitz

Objekte aus dem IGPP, Foto: Lisa Blitz
Objekte aus dem IGPP, Foto: Lisa Blitz
Objekte aus dem IGPP, Foto: Lisa Blitz
Veröffentlicht am 08.03.2017