Kulturplanung

Werkstattgespräche: Kulturelle Arbeit in 2021

Dezember 2021

Anstelle der geplanten Beteiligungsformate zur Überarbeitung der kulturpolitischen Leitziele lud das Kulturamt im Dezember 2020 zu insgesamt drei moderierten Werkstattgesprächen ein. Das übergeordnete Thema waren die möglichen Perspektiven für die Kulturarbeit in Freiburg in 2021 aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Monate. Eingeladen waren Vertreter_innen von Freiburger Kultureinrichtungen und Kulturschaffende aus der freien Szene.

  • Darstellende Künste und Musik
    Samstag, 5. Dezember 2020
    14:00–17:00 Uhr
  • Literatur, Bildende Kunst, Film und Kleinkunst
    Samstag, 12. Dezember 2020
    14:00–17:00 Uhr
  • Kulturelle Bildung, Interkulturelle Kunst und Kultur und internationaler Kulturaustausch
    Samstag, 19. Dezember 2020
    14:00–17:00 Uhr

Insgesamt nahmen 93 Interessierte an den Gesprächen teil. Die drei Termine waren zwar formal unterschiedlichen Kulturbereichen zugeordnet, um die Interessen der angemeldeten Teilnehmer_innen im Groben zu bündeln, jedoch waren spartenübergreifende Gespräche in den Kleingruppengesprächen durchaus intendiert. Die angelegten Fragen bezogen sich zunächst auf die Erfahrungen in den vergangenen Monaten, um sich dann den Bedarfen und den möglichen Perspektiven der Kulturschaffenden im den kommenden Monaten zuzuwenden. Die Fragen, die den einzelnen Gesprächsrunden zugrunde lagen, waren für alle drei Werkstattgespräche identisch:

  • Welche Aufgabe war besonders schwer und fordernd in den letzten Monaten?
  • Wurden neue erfolgreiche Formate entwickelt?
  • Wo lohnt sich ein grundsätzliches oder längerfristig ausgerichtetes Umdenken?
  • Was können wir als Kunst- und Kulturschaffende (gemeinsam) machen?
  • Wo bräuchte es neue Allianzen?
  • Was brauche ich, was brauchen wir im nächsten Jahr?

Die Werkstattgespräche wurden von Thomas Uhlendahl, Marie-Helen Hägele und Charlotte von Möllendorff vom Kommunikationsbüro memoU moderiert.

Das Interesse an den Gesprächen war groß und entsprechend engagiert verlief der Austausch. Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse aller drei Werkstattgespräche zusammengefasst.

Rückblick 2020

Die Aufgaben der Vertreter_innen aus den Kultureinrichtungen sowie die der freien Künster_innen und Kulturschaffenden sind durch die Pandemie vielschichtig erschwert und sehr herausfordernd. Die Kernaufgaben Produzieren, Präsentieren und Vermitteln waren entweder gar nicht erlaubt oder konnten nur mit aufwändigen Hygieneauflagen verfolgt werden. Die Unplanbarkeit band zusätzlich viele vorhandene Ressourcen. Durch die Hygieneauflagen werden Räume verstärkt benötigt. Sie sind noch eine größere Mangelware als sonst.Der für die Kreativität wichtige Austausch mit dem Publikum ist nicht möglich und trotz vieler kreativer Alternativlösungen, auch im digitalen Bereich, ist die Bilanz der Kulturschaffenden am Ende des Jahres sehr ernüchternd. Die Kulturschaffenden bangen nicht nur um ihr wirtschaftliches Überleben, sondern auch um die Zukunftsperspektive der ganzen Branche, da jegliche Arbeit für einen Nachwuchs sowohl unter den Kunstschaffenden selbst als auch für ein zukünftiges Publikum nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Die wirtschaftliche Lage: Einnahmen fallen über weite Teile komplett weg, Online-Formate können dies nicht kompensieren, sie lassen sich nur schwer validieren
  • Künstlerische Inhalte und Emotionen lassen sich sehr schwer in digitale Formate übertragen
  • Kunst braucht das Publikum (alle Sparten!!)
  • Viele Formate sind unter den derzeitigen Bedingungen nicht möglich: Proben, Präsentationen, Vermittlungsformate, Teilhabeprojekte etc.
  • Es fehlen geeignete Räume (Hygienekonzepte!) auch abseits von Aufführun-gen, Konzerten etc. (Probenräume, Amateurbereich, Gruppenproben etc.)
  • Online-Formate sind kein Ersatz für Live-Veranstaltungen
  • Unplanbarkeit, Planungsunsicherheit zusammen mit den aufgestellten Hygienemaßnahmen haben einen enormen organisatorischen Mehraufwand verursacht
  • Der Kontakt mit dem Publikum bedarf großer Kreativität
  • Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist extrem erschwert, da hier besonders der persönliche Kontakt wichtig ist
  • Bildende Kunst: die direkte und materielle Erfahrung spielt eine wichtige Rolle und konnte nicht vermittelt werden
  • Kulturelle Bildung: Realität war geprägt durch die Tatsache, keine Kontinuität gewährleisten zu können, keinen Kontakt anbieten bzw. halten zu können, keine Sinnlichkeit vermitteln zu können oder musste z.T. komplett ausfallen
  • Die Inspiration und der Austausch zwischen den Kulturschaffenden und zwischen den Künstler_innen und dem Publikum war deutlich erschwert
  • Die Inspiration und der Austausch zwischen den Kulturschaffenden und zwischen den Künstler_innen und dem Publikum war deutlich erschwert
  • Es sind Kosten durch Planungen entstanden, die nicht umgesetzt werden konnten
  • Als Freiberufler_in Geld verdienen heißt nach diesem Jahr oft: Brot-Job anstelle von Kulturarbeit
  • Der internationale Kulturaustausch war geprägt durch Reisebeschränkungen und sich ändernde Verordnungen
  • Es ist manchmal schwer, unter diesen Bedingungen motiviert zu bleiben

Neue erfolgreiche Formate

Mit großer Kreativität entstand im Verlauf des Jahres 2020 eine Reihe an neuen Formaten, die vor allem in den Sommermonaten kurzfristig entwickelt und dank neu aufgelegter Förderprogramme überwiegend sehr erfolgreich durchgeführt werden konnten. In teilweise neuen Kooperationen wurden Open-Air-Formate, Online-Angebote oder auch Veranstaltungen an neuen Orten umgesetzt. Auch konnten digitale Möglichkeiten neu entdeckt und anders genutzt werden.

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Neue Orte wurden entdeckt bzw. bespielt: Basler Hof, Lorettobad etc.
  • Open-Air-Formate wurden lanciert (Ins Weite, Reboot-Festival etc.)
  • Open-Air-Orte in Freiburg wurden reaktiviert: Waldsee, Messe, Mensagarten, Alter Wiehrebahnhof etc.
  • Es fanden Kammerformate an neuen Orten satt (Hinterhöfe, private Gärten, Gärten, vor Seniorenheimen, Schaufenster-Ausstellungen etc.)
  • Es entstanden mehr spartenübergreifende Produktionen (Theater Freiburg)
  • Formate wurden entwickelt, die die Online-Bedingungen nutzen konnten: z. B. das partizipative Online-Format „Sound Recherche“, eine Online-Theater-AG, Bücherrallyes wurden in Schulen online durchgeführt etc.
  • Hybride Angebote sind manchmal sinnvoll (Live und online-Unterricht etc.)
  • Es wurde die Erfahrung gemacht, dass Social Media neue Zielgruppen eröffnen
  • Der europaweite Austausch war online möglich, bspw. durch digitale Konferenzen.

Arbeitsprozesse und Darbietung

Durch den Lockdown veränderten sich die künstlerischen Arbeitsprozesse, teilweise sogar auch im positiven Sinn. Die Entfaltung und die Sicherung künstlerischer Darstellung soll vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen neu aufgestellt werden.

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Die Erfahrung von Entschleunigung bei gleichzeitig höherer Intensität sollte sich in den Förderprogrammen niederschlagen
  • „Weniger ist mehr“ (intensivere Arbeit, mehr Zeit für Reflexion, Priorisierungen)
  • Mehr Raum für eine Wirkungsanalyse nehmen, um Projekte qualitativ zu bewerten und weiter zu entwickeln bzw. vertiefende Arbeit zu ermöglichen
  • Mehr Konzentration auf Inhalte in der Arbeit ist richtig und wichtig
  • Die „erzwungene“ Reflexion ist wichtig und soll weitergeführt werden
  • Mehr Animation auf Produzieren als auf Konsumieren richten (sinnliche Erfahrung und experimentieren)
  • Die Krise ist als eine Chance zu verstehen, neue Kommunikationsformen zu erproben: Publikumsansprache etc. Diese Arbeit sollte Teil der Förderung sein
  • Die Krise soll als Chance begriffen werden, um über die Finanzierung von Künstler_innen neu nachzudenken

Nachhaltigkeit

Um kulturelles Schaffen mit den vorhandenen Strukturen nachhaltig zu sichern, sollen die Erkenntnisse aus den vergangenen Monaten mit herangezogen werden. Dabei muss umweltbewusstes Handeln v. a. in den Bereichen Mobilität, Veranstaltungen und Kulturaustausch stärker mitgedacht werden, auch um in diesem Aufgabenfeld den Folgen des Klimawandels und dem Wissen um begrenzte Ressourcen gerechter zu werden.

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Kulturförderung sollte mehr produktionsbezogen und prozessorientiert gedacht werden und weniger präsentationsbezogen und ergebnisorientiert erfolgen
  • Fördermodelle sollten überdacht werden: mehr Flexibilität ermöglichen und mehr Infrastruktur berücksichtigen
  • Produktionsbedingungen müssen stärker berücksichtigt werden
  • Künstler_innenhonorare sollen stärker im Budget der Einrichtungen berücksichtigt werden
  • Medienkompetenz soll auch als eine positive Herausforderung betrachtet werden: sie ermöglicht neue Verbindungen und Beziehungen. Digitale Interaktion darf aber keine neue Benachteiligung hervorbringen
  • Der Nachwuchsbereich muss gesondert gefördert werden, er bricht sonst weg
  • Freiberuflichkeit ist unverzichtbar, auch für feste Kultureinrichtungen
  • Substanzförderung für neue Einrichtungen ist gerade in diesen Zeiten existentiell wichtig
  • Statt „Nothilfen“ bedarf es mehr Infrastrukturförderung
  • Eine Förderung in Form von Stipendien ist sinnvoll
  • Raum für Netzwerkarbeit mitdenken und vor allem auch förderfähig machen
  • Mehr Strukturförderung als Einzelförderung
  • Digitales Netzwerken (Tagungen etc) ermöglicht eine größere Zielgruppe
  • Digitales Produktionszentrum: Austausch mit Teilnehmer_innen aus dem europäischen Umland war (trotz Quarantäne) gut möglich
  • Neue Fragen und Notwendigkeiten an Mobilität, an internationaler Zusammenarbeit und an analoger Begegnung

Räume

Die Bereitstellung von Räumen für die Kultur als ein zentrales und grundlegendes Anliegen

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Die Zahl an kulturell nutzbaren Räumen in Freiburg hat sich mit den pandemie-bedingten Auflagen noch weiter verschärft und verhindert nicht nur Präsentationen, sondern auch Probenaktivitäten sowohl im Profibereich als auch in der Laienkulturarbeit
  • Es sind daher dringend neue Räume erforderlich (Haus der Kultur) oder gege-benenfalls auch Investitionen in bestehende Gebäude
  • Leerstand und Freiräume sollten angesichts der Situation leichter zugänglich gemacht werden
  • Die Nutzung von bestehenden Räumen sollte in Solidarität und für eine Teilhabe aller Sparten erfolgen

Sichtbarkeit

Kunst und Kultur fördern die Befähigung zum Reflektieren und zum Wechsel der Perspektiven auch in Hinblick auf gesellschaftspolitische Themen. Fällt sie weg, verändert sich auch das gesellschaftliche Miteinander. Gerade in schwierigen Zeiten muss dieser Wert im künstlerischen Tun stärker berücksichtigt und für die Gesellschaft deutlicher sichtbar gemacht werden.

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Aufgrund der aktuellen Situation erscheint es für die Zukunft der Kultur in Freiburg notwendig, den Stellenwert und den Wert von Kunst und Kultur in der Gesellschaft in der Öffentlichkeit noch stärker deutlich zu machen und ihre humanrelevante Bedeutung (im Vergleich zur Systemrelevanz) für die Gesellschaft herausstreichen
  • Dies kann in Form von transparenten, verbindlichen und öffentlichen Statements erfolgen
  • Es gilt weiterhin, auch „unsichtbare“ Kulturschaffende (Tontechniker_innen, Bühnenarbeiter_innen, Ausstatter_innen etc.) ebenfalls sichtbar machen.
  • Um in dieser Hinsicht mehr zu kommunizieren, ggf. auch in hybrider Form, ist gegebenenfalls auch eine finanzielle Förderung nötig
  • Wie auch in den vergangenen Monaten schon erfolgt, sollte eine Kultur des Aufsuchens intensiviert werden, im Sinne von „die Kunst und Kultur zu den Menschen bringen“
  • für eine größere Öffentlichkeit bedarf es auch einer breit gefächerten Kulturlandschaft

Kooperationen und Allianzen

Mit Blick auf eine nachhaltige Grundhaltung kulturpolitischen Handelns sind neue Allianzen und Kooperationen von Bedeutung, die in der gegenwärtigen Lage auch helfen sollen, bestehende Strukturschwächen zu überwinden.

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Initiativen und Kulturschaffende sollen sich sparten- und größenübergreifend vernetzen, um mehr Reichweite zu erhalten und um mehr Kraft in die politische Lobbyarbeit stecken zu können. Bestehende Plattformen hierfür sind u.a. Kultur macht reich, Kulturgesichter0761, KulturRettungFreiburg etc.
  • Der Zusammenschluss ist wichtig und auch der Austausch mit neuen Initiativen
  • Kooperationen (auch neuer Art) mit dem Ziel, Projekte weiterzuführen
  • In Kooperationen sollen die Konzepte mit den neuen Formaten aus 2020 weiterentwickelt werden
  • Ein konkretes Ziel kooperierender Recherche: mehr nutzbare Räume zur kulturellen Nutzung für die Sommerzeit in 2021
  • Zu prüfen gilt auch die flexible Nutzung von Räumen
  • Mögliche Hilfe: landesweite Gastspielnetzwerke, die über die einzelnen Produktionsstätten koordiniert werden
  • Kooperationen im Dreiländereck sind in diesem Jahr entstanden. Sie sollen auf jeden Fall weiterentwickelt werden
  • Gewünscht werden neue Formate für einen Austausch zwischen Politik – Verwaltung – Kulturschaffenden und den Professionellen anderer Branchen mit dem Ziel einer wirksamen Lobbyarbeit
  • Vernetzung auch mit digitalen Mitteln weiterführen
  • Die Vernetzung zwischen Bildungs- und Kulturbereich ist wichtig und muss angesichts der schwierigen Lage der Kulturellen Bildung noch weiter ausgebaut werden
  • Der Nachwuchsbereich bedarf einer besonderen Förderung, da er derzeit wegbricht (längerfristig)

Bedarfe 2021

Aus den Erfahrungen der Kulturschaffenden der vergangenen Monate entstand ein dringender Bedarf, bei der Förderpraxis einen Schwerpunkt auf nachhaltige Prozesse und basale Strukturen zu legen. Dies auch vor dem Hintergrund, um in Zeiten schwer planbarer Prozesse flexibler agieren zu können. Des Weiteren soll die Suche nach Räumen intensiver thematisiert und weitere Beratungsangebote ermöglicht werden.

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Es bedarf mehr Planungssicherheit, z. B. durch abgestimmte Rahmenbedingungen, durch die Aufführungsmöglichkeit von älteren Produktionen, durch veröffentlichte genehmigte Hygienekonzepte als Orientierungshilfen etc.
  • Benötigt werden flexiblere und angepasste Förderformate (siehe auch Kapitel Umdenken und Kapitel Förderung neu denken)
  • Unterstützung von basalen und nachhaltigen Prozessen und Strukturen
  • Eine finanzielle Grundunterstützung für einen bestimmten Zeitraum / Grundsicherung für Künstler_innen
  • Vermittlungsstelle für Räume: Bedarfsanalyse, Verteilung etc.
  • Roomsharing (durch besseren Austausch zwischen Spielstätten)
  • Mehr Aufführungsmöglichkeiten im Freien gestatten
  • Bedingungen für ein Transformationsjahr hinsichtlich Medienkompetenz: Schulungen und Ausstattung wünschenswert (Hard- und Software, Personal)
  • Keine Opferrolle etablieren sondern Chance für Um- und Neugestaltung nutzen
  • Beratungsformen: welche Förderungen wo, Verordnungen etc.
  • Beratungsbedarf: Autor_innenrechte; GEMA vs. Youtube; Produktionen rechtmäßig schützen!?

Sonstiges

Beiträge aus den Kleingruppengesprächen:

  • Wünschenswert aus der Sicht der Kulturschaffenden ist es, dass Kulturarbeit in der allgemeinen Öffentlichkeit und in der Politik mehr wertgeschätzt wird 
  • Es soll keine systemkonservative Krise etabliert werden, daher sollten auch junge Kunstschaffende gefördert und Kooperationen von etablierten Einrichtungen mit neuen Akteur_innen unterstützt werden
  • Zu einer zukunftsfähigen Kulturszene gehört auch ein vollzogener Generationswechsel
  • Das Ehrenamt wird zurückgefahren; dadurch könnten entsprechende Strukturen zusammenbrechen
  • Freiburg schafft sich ein neues Profil als „Creative Green City“

Kontakt

Frau Clementine Herzog
Telefon 0761 201-2112
Aufgaben

Kulturplanung, Interkulturelle Kunst und Kultur

Sprechzeiten:
Mo. bis Do. ganztags