Oberbürgermeister Martin W. W. Horn

Neujahrsrede 2020

Begrüßung

Sehr verehrte Damen und Herren,

liebe Freiburgerinnen und Freiburger,

liebe Gäste von nah und fern!

Der städtische Neujahrsempfang ist für viele ein fester Termin im Kalender. Die Winterpause, das Weihnachtsfest mit der Familie, die Ferien und vielleicht auch der Urlaub sind vorbei. Das neue Jahr hat bereits wieder begonnen, und damit
auch der Alltag.

Mein erster Arbeitstag im neuen Jahr fing übrigens gleich lustig an. Hochmotiviert mit neuem Rucksack fragte mich jemand
früh morgens in der Straßenbahn: „Na, auch auf dem Weg zur Uni?“ „Nein“, habe ich ihm geantwortet, „auf dem Weg ins Rathaus!“. Anscheinend gehe ich auch nach zwei Jahren als Oberbürgermeister immer noch als Student durch, das nehme ich mal als Kompliment…

Dieses Jahr ist allerdings auch vieles anders: Denn der heutige Neujahrsempfang ist zugleich der Startschuss in unser Jubiläumsjahr. Das ganze Jahr über wollen wir mit Ihnen zusammen, mit mehreren hundert Veranstaltungen, mit Ausstellungen und Konzerten, Stadtführungen und Straßenfesten, Umzügen und zahlreichen Überraschungen den 900. Geburtstag unserer
Stadt feiern. Es warten mehr als 250 Projekt und 1000 Veranstaltungen auf uns. Und so starten wir auch heute besonders, mit einem Neujahrsempfang der „etwas anderen Art“. Heute Abend wird es keine klassische 45-minütige Neujahrsansprache
geben. Sondern gleich drei Reden.

Rund um die 3 Bereiche, um die es dieses Jahr gehen soll:

Gestern – die Vergangenheit und Geschichte unserer Stadt.

Heute – die Gegenwart Freiburgs, wie wir es heute kennen.

Und Morgen – die Zukunft unserer Stadt.

Dazwischen werden Schauspielerinnen, Tänzer und Künstlerinnen, organisiert vom „Theater Panoptikum“, diese drei Abschnitte kreativ und visuell umsetzen.

Aber bevor das Programm losgeht, möchte ich vorher noch ein paar Begrüßungen loswerden. Dieses Mal nicht streng nach Protokoll und in Gruppen. Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich daher nicht alle Ehrengäste namentlich begrüßen werde.

Wir haben für Freiburgs 900. Geburtstag 9 Jubiläumsbotschafter bzw. -botschafterinnen ausgewählt, die ich heute Abend jeweils stellvertretend für ganz unterschiedliche Gesellschaftsgruppen begrüßen werde.

Stellvertretend für alle Gäste aus der Politik begrüße ich unseren Ersten Bürgermeister Ulrich von Kirchbach – in der verantwortungsvollen Rolle des „Jubiläumsbürgermeisters“. Im Ressort Politik sind prominente Gäste vor Ort, namentlich nennen möchte ich den Europaabgeordneten Dr. Andreas Schwab, Finanzministerin Edith Sitzmann, Gabi Rolland aus unserem Landtag und stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen aus der Region Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer, Landrätin Dorothea Störr-Ritter und Landrat Hanno Hurth. Von der anderen Seite des Rheins begrüße ich meine Kollegin Madame Michèle Lutz, Bürgermeisterin von Mulhouse, stellvertretend für unsere internationalen Gäste. Ich begrüße meine Kollegen Bürgermeister Haag und Breiter sowie die beiden Bürgermeister a.D., Otto Neideck und Hansjörg Seeh sowie alle anwesenden Stadträtinnen und Stadträte, Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher und Ortschaftsräte.

Ganz besonders begrüße ich die 900 zufällig ausgewählten Freiburgerinnen und Freiburger. Wir haben sie extra eingeladen, heute Abend mit uns zu feiern. Stellvertretend für sie alle begrüße ich die Jubiläumsbotschafterin Laura Kiefer, Straßenbahnfahrerin unserer VAG. Sie kennt Strecken und Straßen dieser Stadt wie kaum eine andere. Sie bringt Tag für Tag tausende von Freiburgerinnen und Freiburgern zur Schule oder Arbeit – und wieder gut zurück nach Hause. Danke – willkommen beim Neujahrsempfang!

Für alle, die sich für das öffentliche Gemeinwesen einsetzen, sei es in der Verwaltung, in den Behörden, im Bereich Sicherheit oder im Gesundheitswesen begrüße ich herzlich Alain Stockmayr. Als hauptberuflicher Bächleputzer – Mitarbeiter bei der städtischen Abfallwirtschaft – sorgt er dafür, dass unsere Bächle, eine der beliebtesten Freiburger Sehenswürdigkeiten, sauber bleiben und immer schön fließen. Exemplarisch für viele Anwesenden, die sich für ein funktionierendes Gemeinwesen einsetzen, begrüße ich unseren neuen Polizeipräsidenten Franz Semling. Herzlich willkommen in Freiburg!

Stellvertretend für alle Gäste aus Wirtschaft, Verbänden, Handwerk, Tourismus und Gastronomie begrüße ich Peter Neske vom „Pfizer Healthcare Hub“. Hier in Freiburg befindet sich eine der wichtigsten pharmazeutischen Produktionsanlagen des Weltunternehmens. Namentlich nenne ich den IHK-Präsidenten Dr. Steffen Auer, den Präsidenten der Handwerkskammer, Johannes Ulrich, den Vorstandvorsitzenden der Sparkasse Nördlicher Breisgau Marcel Thimm sowie den Vorstand der Volksbank Uwe Barth.

Im Namen aller ehrenamtlich Aktiven, die sich gesellschaftlich engagieren und die sich in Vereinen und Initiativen einsetzen, begrüße ich ganz herzlich Jubiläumsbotschafterin Sandra Starke. Sie ist im Team der SC-Frauenmannschaft und vertritt unsere Stadt auch sportlich nach außen. Mit viel Erfolg! Seit letztem Oktober ist sie sogar in der deutschen Nationalmannschaft! Exemplarisch nenne ich die Bürgervereine, ehrenamtliche Initiativen und Interessenvertretungen sowie unsere zahlreichen Sportvereine. Beispielhaft nur: Adolf Seger, eine Freiburger Sportlegende. Er feierte vor wenigen Tagen seinen 75. Geburtstag.

Für den Bereich Wissenschaft, Bildung und Kirchen begrüße ich herzlich unseren Jubiläumsbotschafter Weihbischof Christian Würtz. Seit letztem Jahr im Amt war er gleich bereit, uns im Jubiläumsjahr zu unterstützen – vielen Dank dafür! Sicher ist es eine große Ausnahme, dass ich den Weihbischof zuerst begrüße, obwohl auch sein Chef da ist – und neben ihm sitzt! Nämlich…unser Freiburger Erzbischof Stephan Burger, den ich ebenfalls sehr herzlich begrüße, stellvertretend für alle christlichen, jüdischen, muslimischen und weiteren Religions- und Glaubensgemeinschaften. Ebenso begrüße ich unseren Freiburger Ehrenbürger Prof. Dr. Wolfgang Jäger mit Ehefrau. Schön, dass Sie da sind.

Für alle Anwesenden aus dem Bereich Kultur, Kunst und Medien begrüße ich herzlich die Sängerin Cécile Verny. Sie ist eines unserer musikalischen Aushängeschilder. Sie hat sich weit über die Stadt hinaus einen Namen gemacht. Und sie steht als Französin auch für unsere große Verbundenheit mit Frankreich.

Alle Künstlerinnen und Künstler unserer Stadt und alle Kreativen und Musikerinnen heiße ich zusammen mit Ihnen, liebe Cécile, herzlich willkommen. Neben den Preisträgern des Reinhold-Schneider-Kulturpreises der Stadt Freiburg gilt mein Gruß dem Team des Zeltmusikfestivals, stellvertretend dem legendären Alex Heisler!

Für den großen Bereich Soziales und Verbände begrüße ich die wohl schillerndste Jubiläumsbotschafterin, die sich selbst in aller Bescheidenheit gerne als „Freiburgs lebendige Sehenswürdigkeit“ bezeichnet – wer könnte ihr widersprechen? Ich spreche natürlich von Betty BBQ. Herzlich begrüße ich die ganze queere Community in Freiburg – und alle Menschen, die sich in den Verbänden, in Kitas, Pflegeeinrichtungen und zahlreichen weiteren Einrichtungen für andere Menschen und für mehr gesellschaftliches Miteinander einsetzen.

Und zum Schluss möchte ich alle begrüßen, die unser Jubiläumsjahr aktiv mitgestalten. Mein besonderer Willkommensgruß gilt dem Jubiläumsbotschafter Matthias Blattmann, einer der Inhaber der Tanzschule Gutmann, die viel beigetragen hat zum Bühnenprogramm heute Abend! Neben ihm begrüße ich die vielen Projektpartnerinnen, Veranstalter, Spenderinnen und Sponsoren, ohne die das umfangreiche Programm im Jubiläumsjahr nie möglich geworden wäre, z.B. Renate Sick-Glaser von der Sick-Stiftung, die mit 100.000 Euro unsere neuen Jubiläumsspielplätze unterstützt und alle, die 900 Euro für unser Stadtjubiläum gespendet haben.

Liebe Gäste,

ich freue mich mit Ihnen auf einen schönen und überraschenden Abend – und ein überraschendes Jubiläumsjahr 2020 für unser Freiburg!!!

Gestern

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

der Markt auf dem Münsterplatz, den wir wohl alle kennen und lieben, ist ein Ort der Geschichten. Hier trifft man sich, hier erzählt man, wie es einem geht, was die Kinder so machen oder welches Sonntagsessen geplant ist. Wir gehen zum Markt, um einzukaufen. Aber auch, um zu entdecken und uns umzusehen. Es ist schön dort, weil hier Leben ist. Weil wir hier Kontakte und Beziehungen pflegen und miteinander ins Gespräch kommen. Und wenn wir den Markt verlassen, tragen wir nicht nur unsere Einkäufe, sondern auch lauter Geschichten in unserer Tasche nach Hause. Es ist offensichtlich: Unser Markt ist ein Ort der Geschichten.

Der Markt rund ums Münster ist aber auch ein Ort der Geschichte, und das seit vielen Jahrhunderten. Mehr noch: Er steht ganz am Anfang unserer Stadtgeschichte. Freiburgs Entwicklung ist von Beginn an, seit der Stadtgründung untrennbar verbunden mit der Verleihung des Marktrechts. Zwar haben Ausgrabungen gezeigt, dass manche Gebäude noch älter sind, denn Freiburg war schon im frühen Mittelalter ein Schnittpunkt mehrerer wichtiger Handelsrouten. Aber auf einer Urkunde wurde festgehalten, dass Konrad von Zähringen im Jahr 1120 Freiburg das Marktrecht verlieh, und damit der Sprung von einer Siedlung zu einer richtigen Stadt gelang.

Als ich genau 1 Jahr im Amt war, am 1. Juli letzten Jahres, lud ich mein Team zu einer Münsterführung ein. Und als Überraschung empfang uns der jüngste Weihbischof Deutschlands, unser Jubiläumsbotschafter Christian Würtz. Übrigens nur einen Tag nach seiner eigenen Bischofsweihe, das fand ich sehr nett! Wir stiegen also gemeinsam den Münsterturm hinauf, bis hoch zur Turmspitze, und blickten auf die sich vor uns ausbreitende Stadt. Von dort oben bekommt man einen guten Eindruck davon, wie Freiburg als Ganzes aussieht, wie schön es sich in die Landschaft einfügt. Ein Blick aus der Luft, von so hoch oben, zeigt, wie sich die Altstadt um den Markt und das Münster herum gruppiert. Sie waren schon immer das Herz dieser Stadt. Bereits um die Zeit der Marktrechtsverleihung herum wurde an der Stelle ein Kirchenbau begonnen, auf dessen Fundamenten dann ab 1200 Schritt für Schritt das Münster errichtet wurde.

Rund vier Jahrhunderte dauerten die Arbeiten an diesem gewaltigen Bauwerk. Wir dürfen stolz darauf sein, denn Freiburg besitzt mit dem Münster eine der schönsten gotischen Kathedralen der Welt. Zu Recht wird in dem berühmten Zitat vom, ich zitiere: „schönsten Turm auf Erden“ gesprochen. Wenn ich unten vor dem mächtigen Hauptportal stehe und den Blick den riesigen Turm hinauf wandern lasse, empfinde ich immensen Respekt vor den vielen Generationen vor uns, die dieses Werk geschaffen und bewahrt haben. Es war eine gemeinsame Anstrengung über Jahrhunderte, die unsere mittelalterlichen Vorfahren bewältigt haben, denn keine Generation allein hätte dieses Bauwerk errichten können.

Wer damals am Münster arbeitete, sei es als Steinmetz oder einfacher Träger, als Handwerker oder Architekt, wer die Kraft seiner Hände oder seine schöpferische Energie einbrachte, der wusste doch, dass er das Ende seiner Mühen, den Abschluss dieses großen Werkes nicht mehr erleben würde.

Damit ist das Freiburger Münster für mich über den prachtvollen Bau hinaus ein Zeichen. Und das in mehrfacher Hinsicht:

Ein Zeichen dafür, dass wir viel erreichen können, wenn wir uns einigen und zusammen anpacken, so wie die Erbauer des Münsters.

Ein Zeichen dafür, dass es nicht nur ums uns heute geht, sondern auch um eine Fortführung dessen, was Generationen vor uns aufgebaut haben.

Ein Zeichen aber auch dafür, dass wir eine Verantwortung für die Zukunft haben. So wie die vielen Menschen, die am Münster mitgearbeitet haben, ohne den Abschluss des Werks zu erleben, so müssen auch wir Verantwortung übernehmen.

Deshalb, meine Damen und Herren, bildet das Freiburger Münster für mich nicht nur die Mitte unserer Stadt, sondern steht auch sinnbildlich für einen Bürgergeist und einen Zusammenhalt, den ich mir für das Jubiläumsjahr wünsche – und darüber hinaus!

Errichtet und finanziert wurde dieses architektonische Meisterwerk nicht wie sonst häufig von der Obrigkeit, sondern es wurde von der Bürgerschaft selbst bezahlt. Von wohlhabenden Freiburger Familien, die dank des Silberbergbaus am Schauinsland die Mittel dafür aufbringen konnten, und aus der breiten Bevölkerung heraus.

Gleichzeitig ist das Münster auch ein Zeichen dafür, dass die Arbeit niemals endet. Die Münsterbauhütte unter Münsterbaumeisterin Frau Faller ist permanent mit Ausbesserungen und Renovierungen beschäftigt – so wie auch die Arbeit an der Stadt und an unserem Gemeinwesen niemals abgeschlossen ist.

Um es zum Jubiläumsjahr ins rechte Licht zu setzen, wird das Münster im März zum Leuchten gebracht, mit einer aufwändigen Lichtinstallation und Filmprojektion. Was kaum jemand weiß, das ist nicht das erste Mal.

Als Marie Antoinette auf der Reise von Wien nach Paris durch Freiburg kam, da haben die Einwohner ihr Münster mit tausenden von kleinen Lämpchen eindrucksvoll erleuchtet. Und hier haben wir noch ein Jubiläum: Denn das geschah im Jahr 1770 – also vor genau 250 Jahren!

Aber zurück ins späte Mittelalter: Denn im Jahr 1457 wurde die Universität gegründet, ein weiteres zentrales Ereignis, das bis heute nachwirkt. Denn ohne unsere Universität und die Studierenden wäre Freiburg nicht das, was es heute ist. Dank dieser richtungsweisenden Entscheidung vor 563 Jahren hätte sich Freiburg sicher nicht zu dem Wissenschaftsstandort entwickelt, dem wir heute viel Ansehen, Wohlstand, Kreativität und gesellschaftliche Dynamik verdanken.

In unserer Vergangenheit gab es viele wechselnde Herrschaften. Freiburg gehörte jahrhundertelang zu Österreich, kam aufgrund seiner Grenznähe und der Kriegswirren im 17. und 18. Jahrhundert aber auch mehrfach unter französische Herrschaft. Was wenige wissen: Freiburg war auch einige Zeit italienisch! Denn 1797 wurde es von Napoleon dem Herzog von Módena zugeschlagen, und gehörte bis 1805 zu dessen Herrschaftsgebiet. Kein Wunder also, wenn heute manchmal gesagt wird, Freiburg sei die italienischste Stadt nördlich der Alpen…!

Bis es im 19. Jahrhundert durch eine Verfügung Napoleons schließlich dem Kurfürstentum Baden zugeschlagen wurde. Diese vielen Wechsel haben ihre Spuren hinterlassen. Und wer genau hinschaut, kann sicher noch manche der kulturellen Einflüsse Österreichs, Frankreichs und Italiens entdecken, vor allem wenn es ums gute Essen geht!

Im späten 19. Jahrhundert erfolgte dann Freiburgs endgültiger Durchbruch zur Großstadt. Neue Stadtteile entstanden, moderne Strom-, Gas- und Wasserleitungen wurden verlegt, und die Bevölkerungszahl stieg rapide an: Im Jahr 1800 hatte Freiburg noch rund 9.000 Einwohner, 1900 waren es bereits 62.000, also etwa siebenmal so viele!

Unsere Hauptstraße, die jahrhundertelang einfach nur „Große Gass“ hieß, wurde später zu Ehren der habsburgischen Herrschaft „Kaiserstraße“ genannt. Als dieser Boulevard schließlich in „Adolf-Hitler-Straße“ umbenannt wurde, war eine dunkle Zeit angebrochen.

Was die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten angerichtet hat, davon zeugen unter anderem der Brunnen am Platz der Alten Synagoge, der an die 1938 in Brand gesteckte Synagoge erinnert, die vielen Stolpersteine überall in der Stadt oder auch das Ortsschild, das nach Gurs zeigt. In Richtung Südfrankreich, wohin die Freiburger Jüdinnen und Juden zuerst deportiert wurden. Ich nenne sie exemplarisch für weitere, ganz unterschiedliche Opfergruppen. Von den Folgen dieses verbrecherischen Regimes, das einen weltumspannenden Krieg begonnen hat, zeugt aber auch die gesamte Innenstadt. In gerade einmal 20 Minuten, in einer Novembernacht 1944, fielen weite Teile von Freiburg bei einem britischen Luftangriff in Schutt und Asche. Jedes Jahr am 27. November kommen wir im Münster zusammen, um der zahlreichen Toten zu gedenken. So auch vor wenigen Wochen erst, im letzten Jahr, zum mittlerweile bereits 75. Mal. Und sind neben der Trauer um die Opfer doch auch dankbar dafür, dass das Freiburger Münster wie durch ein Wunder den Bombenhagel überstanden hat – und uns so erhalten geblieben ist.

Nach der Stunde Null, den Zerstörungen und dem Zusammenbruch des NS-Regimes begann der Wiederaufbau. Die Freiburgerinnen und Freiburger haben gemeinsam angepackt, und die Innenstadt bekam das Gesicht, das wir heute kennen.

Als dann rund zwei Jahrzehnte später, in den 70er Jahren, der Protest gegen das geplante Atomkraftwerk im benachbarten Wyhl in unserer Region Wellen schlug, demonstrierten Bürger und Studentinnen, Bäuerinnen und Stadtmenschen mutig, laut und vor allem gemeinsam. Es gelang ihnen, diesen Reaktor vor Freiburgs Haustür zu verhindern. Was hier begann, das ist heute sichtbar – mit der Green City, die oft als „Umwelthauptstadt“ Deutschlands bezeichnet wird.

„Öko“ heißt nicht rückwärtsgewandt, das weiß man in Freiburg sehr genau. Eine nachhaltige Stadtplanung schaut nach vorne – die aktuelle Erweiterung der Innenstadt mit viel Platz für Zufußgehende, Fahrräder und den Nahverkehr belegt das eindrucksvoll.

Viele dieser innovativen baulichen Lösungen entstanden bereits unter Oberbürgermeister Rolf Böhme, der im vergangenen Jahr von uns gegangen ist. Verabschiedet von ihm haben wir uns – wie könnte es anders sein – bei einer bewegenden Trauerfeier im Münster, im Herzen unserer Stadt.

Zum 900. Geburtstag wollen wir daher bewusst auch zurückblicken in die Vergangenheit. Das werden wir durch zahlreiche Projekte sehr unterschiedlicher Art machen – sowohl in die goldenen, als auch in die dunklen Kapitel unserer Stadtgeschichte. 900 Jahre, meine Damen und Herren, das sind 900 Jahre bewegte Geschichte, sind 10.800 Monate voller Höhen und Tiefen, sind rund 328.700 Tage voller Schicksalsschläge, Erfolge und Niederlagen, voller Freude, Tränen und auch vieler Überraschungen…!

Heute

Liebe Gäste, nach der Zeitreise durch die letzten neun Jahrhunderte unserer Stadt sind wir nun in der Gegenwart – im Heute – angekommen. Das neue Jahr, das neue Jahrzehnt, die neuen zwanziger Jahre sind nun gerade einmal zwei Wochen alt.

Und unsere Stadt ist das große Geburtstagskind.

Lassen Sie mich zunächst kurz persönlich werden: 2019 war für mich mein erstes „volles“ Jahr als Oberbürgermeister. Die Zeit verging wie im Fluge. Es fanden zahlreiche Geburtstage und Jubiläen von Vereinen und Institutionen statt.

Es gab dutzende Bürgerinnenveranstaltungen, Verabschiedungen, Spatenstiche, Einweihungen und Feste. Und ich verbrachte – oftmals unbemerkt – auch hunderte Stunden am Schreibtisch und in Sitzungen.

Die Arbeit als Oberbürgermeister ist natürlich intensiv. Aber sie ist vor allem eins: Vielfältig. Bei einem Blick auf das vergangene Jahr denke ich an eine Bürgerin, die ihren 100. Geburtstag gefeiert hat und immer noch Straßenbahn fährt. Ich denke an den Besuch bei Präsident Macron im Elysee-Palast ebenso wie in der Obdachlosenunterkunft Oase. Und ich denke an Menschen, die mehr Geld besitzen, als sie ausgeben können und an Menschen, die jeden Tag jeden Euro doppelt umdrehen müssen.

Es gab tolle Termine und spannende Begegnungen, aber auch Anfeindungen und Enttäuschungen.

Die Verantwortung ist groß, ebenso die Erwartungen. Aber genau diese Bandbreite macht mir wahnsinnig Freude. Ich bin Freiburg nach wie vor dankbar, dass mir das Vertrauen geschenkt wurde und ich als Oberbürgermeister – gemeinsam mit den Bürgermeisterkollegen von Kirchbach, Haag und Breiter und Bürgermeisterin Stuchlik sowie dem Gemeinderat und der Verwaltung – wirken darf. Vielen Dank.

All diese unterschiedlichen Erfahrungen und Ereignisse 2019 haben mir gezeigt, wie vielfältig und unterschiedlich unsere Stadt ist. Und wie sie teilweise auch unterschiedlich verstanden werden will. Es ist ja auch ganz klar, dass sich unsere 28 Stadtteile und Ortschaften durch individuelle Eigenheiten, Geschichten und lokale Besonderheiten auszeichnen. Diese wollen wir gerade im Jubiläumsjahr hervorheben und gleichzeitig das Verbindende betonen. Wir wollen unsere Stadt im Jubiläumsjahr 2020 noch einmal neu kennenlernen.

Meine Damen und Herren, am heutigen Mittwoch, den 15. Januar 2020, hat Freiburg exakt 226.954 Einwohnerinnen und Einwohner mit Menschen aus 172 Herkunftsländern. Und unsere Stadt ist mit einem Durchschnittsalter von 40,5 Jahren eine der jüngsten in ganz Deutschland. Rund 5500 Babys haben 2019 das Licht der Welt erblickt, nur etwas weniger als im Rekordjahr 2018. Unsere Stadt wächst also immer noch weiter.

Freiburg hat eine sehr hohe Lebensqualität, liegt in einer einzigartigen Naturlandschaft und ist eine der beliebtesten Städte Deutschlands.

Freiburg ist heute eine moderne Universitäts- und Hochschulstadt mit großer Tradition und Spitzen-Forschung. Und auch die Universität wächst: Bis 2030 sind bauliche Investitionen für die Universität und das Universitätsklinikum von rund einer Milliarde Euro vorgesehen. Freiburg ist eine innovative Umweltstadt mit Vorbildfunktion für Städte in der ganzen Welt. Das Rathaus im Stühlinger hat als erstes Plus-Energie-Rathaus der Welt zahlreiche Preise erhalten und setzt mutig einen neuen Maßstab. Freiburg ist aber auch Sportstadt und Heimat unseres Sport-Clubs, der bislang eine fantastische Saison spielt. Aber unsere Stadt bietet mehr als nur Fußball: EHC, USC, die FT, FFC, PTSV Jahn und viele weitere Vereine zeichnen Freiburg im Breiten- und Spitzensport aus.

Freiburg heute, das ist eine Stadt mit einer hervorragenden sozialen Infrastruktur. Und eine Stadt mit einer der höchsten U-3 Kinderbetreuungs- und Schulkind-Betreuungsquoten im ganzen Land

Und Freiburg ist vielseitige Kulturstadt: Stadt der Chöre, Orchester, Theater und Museen, eine Stadt mit einer ausgeprägten und kritischen Sub-Kulturszene. Und eine Stadt der regionalen Identität sowie regionalen Zusammenarbeit, die wir festigen und ausbauen wollen.

Freiburg 2020 hat eine quirlige und dynamische Unternehmerszene und einen leistungsfähigen Forschungs- und Mittelstandssektor. Wir etablieren uns gerade als landesweiter Hotspot für Green Economy und Umwelttechnologie. Und was viele nicht wissen oder wahrnehmen: Unser heutiges Freiburg ist ein herausragender Standort für Gesundheitswirtschaft einschließlich Biotechnologie, Pharmazie sowie Medizintechnik. Dies ist mit Abstand die größte Wirtschaftsbranche in der Stadt und generiert mit mehr als 25.000 Beschäftigten auch ein Viertel der gesamten Gewerbesteuereinnahmen!

All diese genannten Zuschreibungen – und sicherlich noch einige mehr – sind wichtige Bausteine der Standort-DNA unserer Stadt.

Dabei hat sich das Gesicht der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten beträchtlich verändert und verändert sich fortlaufend. Eindrucksvolle Belege hierfür sind die Eröffnung der Straßenbahn sowie der tolle Boulevard am Rotteckring, zudem die Staudinger Gesamtschule als größtes städtisches Projekt mit rund 120 Millionen Euro Baukosten oder auch der Bau des neuen Stadions. Vieles davon wurde vor meiner Zeit beschlossen und angegangen. Dafür möchte ich meinen Amtsvorgänger Dieter Salomon an dieser Stelle danken.

Und wie es sich bei einem Geburtstag gehört, dürfen auch Geschenke nicht fehlen. Eines kommt von unseren Freundinnen und Freunden aus Frankreich: Fessenheim wird 2020 abgeschaltet. Eine überaus erfreuliche Nachricht für Freiburg und die Region, auf die wir seit Jahrzehnten gewartet haben. Aber bei aller Freude: Wir werden unseren Nachbarn in Frankreich bei diesem Strukturwandel zur Seite stehen und sie gerne unterstützen.

Meine Damen und Herren,

der Bürgerentscheid zum neuen Stadtteil Dietenbach Anfang letzten Jahres hat für viel Gesprächsstoff und Diskussionen gesorgt. Der Bürgerentscheid war ein starkes Beispiel dafür, wie sich Stadträtinnen und Stadträte gemeinsam mit der Verwaltung mit voller Leidenschaft für unseren neuen Stadtteil eingesetzt haben. Die Freiburgerinnen und Freiburger haben meiner Meinung nach die richtige Entscheidung getroffen, genau wie in den beiden Bürgerentscheiden zuvor.

Nun gilt es mit vollem Einsatz weiter zu planen und den neuen Stadtteil auf den Weg zu bringen. Unter anderem mit neuen Beteiligungsformaten, denn uns ist es ein Anliegen, dass die Freiburgerinnen und Freiburger weiterhin mitgestalten.

Meine Damen und Herren, Freiburg ist nach wie vor eine Stadt des Zusammenhalts, mit einem guten sozialen Miteinander. Doch beim Thema Wohnen kippt aktuell das soziale Gleichgewicht. Deswegen ist das Thema bezahlbares Wohnen eines der politisch wichtigsten Anliegen in der Stadt, und auch von mir persönlich. Das Problem auf dem Wohnungsmarkt betrifft seit geraumer Zeit zunehmend auch diejenigen, die eigentlich ein passables mittleres Einkommen haben. Und es betrifft unseren Wirtschaftsstandort Freiburg, wenn dringend benötigte Arbeitskräfte keine bezahlbare Wohnung finden. Wir als Kommune haben zwar nicht alle Rahmenbedingungen in der Hand. Unser Anspruch ist es aber, dort zu handeln, wo wir Einfluss haben. Wir müssen in alle Richtungen denken und sämtliche Akteure der Wohnungswirtschaft einbeziehen. Um hier effektiv und zielorientiert voranzukommen, hat Anfang 2019 das neue Referat für bezahlbares Wohnen seine Arbeit aufgenommen. Und auch bei der Stärkung der Freiburger Stadtbau sehe ich uns auf einem sehr guten und neuen Weg, den wir mit einem begrenzten Mietmoratorium eingeläutet haben. Im März werden wir die Bausteine für unsere FSB – unter anderem eine Wohnungsbauoffensive – vorstellen und dem Gemeinderat zur Entscheidung vorlegen. Wir haben erstmals mit einer aktiven Liegenschaftspolitik und einem eigenen Haushaltsposten für den Ankauf von Flächen neue Möglichkeiten geschaffen, wieder mehr Einfluss auf die Wohnungsentwicklung zu nehmen. Und wir wollen bei den nächsten Wohnbauprojekten wie Stühlinger-West gemeinwohlorientiertem Wohnen klar den Vorrang geben. Zum ersten Mal in unserer jüngeren Geschichte wollen wir ein ganzes Wohngebiet zu 100 Prozent gemeinwohlorientiert erschließen.

Das Interesse von Genossenschaften und Baugruppen ist dermaßen groß, dass das Gebiet schon jetzt eineinhalbfach überzeichnet ist, obwohl es noch gar nicht ausgeschrieben ist. Auch wenn es ein Kraftakt ist und noch viel Zeit kosten wird, haben wir meiner Meinung nach den richtigen Weg eingeschlagen.

Meine Damen und Herren, für eine vorausschauende Kommunalpolitik braucht es auch immer einen starken und engagierten Gemeinderat. Seit der Kommunalwahl im vergangenen Mai haben wir einen deutlich weiblicheren, jüngeren und bunteren Gemeinderat. Er deckt ein breites politisches Spektrum von links bis ganz nach rechts ab, von liberal bis konservativ. Damit ist er Spiegelbild unserer vielfältigen Stadtgesellschaft. Bei der Einführung des neuen Gemeinderats habe ich bereits an einen fairen Umgang appelliert, der gerne auch hart in der Sache sein darf. Provokationen, Hetze und Ausgrenzung aber sind fehl am Platz.

An erster Stelle sollte für uns alle eine verantwortungsbewusste Stadtpolitik stehen.

Genau dafür haben wir einen strategischen Dialog mit dem Gemeinderat für eine nachhaltige Finanzpolitik begonnen. Unser Doppelhaushalt ist mutig und stabil. Der Spielraum wird in der Zukunft jedoch sicherlich nicht größer. Angesichts der großen Aufgaben und notwendigen Investitionen bei Schulen, Straßen, Brücken, Klimaschutz und Digitalisierung müssen wir gemeinsam um die Prioritäten ringen.

Diesen herausfordernden Dialog werden wir erstmals bereits vor den eigentlichen Haushaltsberatungen mit dem Gemeinderat führen.

Und so wie wir einen Fahrplan für unsere Haushaltspolitik haben, so haben wir auch einen Fahrplan für ein weiteres Schwerpunktthema, die Digitalisierung in Freiburg:

Vor gut einem Monat haben wir mit dem Beschluss unserer Digitalisierungsstrategie einen weiteren konkreten Schritt in die Zukunft gemacht. In aller Breite und aus vielen verschiedenen Perspektiven haben wir das Thema Digitalisierung bearbeitet und hinterfragt. Ja – auch hinterfragt, denn es geht bei unserer Strategie nicht einfach um Technik und Technologie. So haben wir sämtliche Handlungsfelder vom Menschen her gedacht und Ziele, Maßnahmen und Risiken klar definiert. Digitalisierung muss gemeinwohlorientiert sein, die Menschen sollen profitieren.

Deswegen haben wir in einem breiten Beteiligungsprozess zusammen mit Bürgerschaft, Wissenschaft und Wirtschaft, mit sozialen Institutionen, Schulen und Bildungseinrichtungen einen eigenen Freiburger Weg herausgearbeitet.

Wie immer haben die Freiburgerinnen und Freiburger kritisch ihre Meinungen und Ideen auch bei diesem Prozess eingebracht. Typisch Freiburg eben…

Sie sehen: Freiburg ist vielseitig, dynamisch und höchst lebendig, aber auch streitbar, erfahren und klug. Beste Voraussetzungen für eine Stadt mit 900 Jahren im Gepäck, um auch diese aktuellen Umbruchzeiten in den noch so neuen Zwanzigerjahren gut zu meistern. Und ich möchte persönlich anmerken: Ich habe richtig Lust darauf.

Morgen

Liebe Gäste, wir haben uns das Gestern angesehen und das Heute betrachtet. Und ich glaube, es wurde sehr deutlich: Geschichte verläuft weder zufällig, noch ist sie vorbestimmt. Es sind die Menschen, es sind wir, die die Geschichte, die Gegenwart und natürlich auch die Zukunft gestalten.

Heute geht es uns – ganz nüchtern und sachlich betrachtet – so gut wie nie zuvor in der Geschichte. Wir leben in der längsten Friedensperiode in Europa, wir verfügen über den größten materiellen Wohlstand und wir werden immer älter. Trotzdem haben viele Menschen den Eindruck, alles ist schlecht und alles wird fortlaufend schlechter.

Diese Sorgen ernst zu nehmen, das ist sehr wichtig. Und deshalb ist es mir wichtig, zu betonen, dass wir der Zukunft nicht ausgeliefert sind. Es liegt an uns, ob es uns auch morgen noch gut geht. Wie die Welt von morgen aussieht, liegt in unseren Händen, liegt in unserem Handeln.

Wie aber soll unsere Welt von morgen aussehen?

Wie müssen wir die Welt gestalten, dass es uns weiterhin gut geht?

Nationalisten und Populisten haben darauf eine einfache, wie falsche Antwort: So wie früher. Dabei wird ein „Früher“ suggeriert, dass es nie gegeben hat. In der Vergangenheit war nicht alles besser.

Die Vergangenheit zeigt, dass die Ablehnung alles Fremden die Demokratie zerstört. Ein Blick zurück lehrt uns, dass ein aggressiver Nationalismus im Krieg endet. Das dürfen wir nie vergessen. Gerade in Zeiten, in denen bestimmte Politikerinnen und Politiker versuchen, völkisches Denken wieder salonfähig zu machen.

Meine Damen und Herren, es ist wirklich erschreckend, welche Töne – auch bei uns in Freiburg – mittlerweile zu vernehmen sind. Wir werden Zeuge von Beleidigungen, Antisemitismus, Bedrohungen, Hetze und Hass. Solch hasserfüllte Sprache erschüttert. Gerade wenn wir uns vor Augen halten, wohin hasserfüllte Sprache früher oder später führt: Zu offener Gewalt. Aber den Feinden unserer Freiheit und Demokratie sei hier und heute gesagt: Ihr mögt laut sein, aber Ihr seid nicht in der Mehrheit. Und – davon bin ich felsenfest überzeugt: Das wird auch in Zukunft so bleiben. Wir werden bei uns in Freiburg auch weiterhin Menschen willkommen heißen! Wir werden uns auch künftig für Menschenrechte, Weltoffenheit und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Und wir werden unsere Freiheit, unsere Menschlichkeit und unsere Demokratie mit aller Entschiedenheit verteidigen!

Liebe Gäste, es gibt – ich zitiere – einen „unauflöslichen Zusammenhang von Erinnerungs- und Zukunftsfähigkeit“. So hat das einmal die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ausgedrückt. Gedenkstätten, wie unser künftiges NS-Dokumentationszentrum im Rotteckhaus, halten die Erinnerung an die dunkelste Zeit unserer Geschichte wach. Sie sind eine ständige und notwendige Mahnung, dass wir menschenverachtende Taten und Worte niemals wieder dulden und zulassen werden.

Die Vergangenheit lehrt uns aber auch, dass Freundschaften und Zusammenarbeit zwischen den Staaten möglich sind. Mit der Europäischen Union haben wir eine beispiellose Antwort auf die vergangenen Kriege gefunden. Und bis heute hat die Europäische Union nichts von ihrer überragenden Bedeutung eingebüßt. Vielleicht ist sie heute sogar wichtiger denn je.

Gerade für uns in Freiburg, im Dreiländer-Eck gelegen, ist die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene von immenser Bedeutung! Ich freue mich daher sehr, dass heute auch Gäste aus unseren Nachbarländern unter uns sind. Insbesondere haben wir im vergangenen Jahr viel in die Kooperation mit Frankreich und der Schweiz investiert. Und auch in Zukunft werden wir diese enge Zusammenarbeit fortsetzen. Als Freiburger Oberbürgermeister werde ich mich auch in Zukunft mit voller Motivation für eine Politik einsetzen, die weder an der Stadt-, noch an der Staatsgrenze endet.

In diesem Sinne setzen wir uns in Freiburg für eine offene Gesellschaft ein. Mit unserem Freiburger Leitbild Migration und Integration wollen wir eine Gesellschaft erreichen, in der alle Menschen gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen können. Egal, wo sie herkommen. Und egal, wie sie aussehen.

Für ein gutes Zusammenleben pflegen wir darüber hinaus einen engen Austausch mit unseren Partnerstädten auf der ganzen Welt. Gerade auch in Zeiten von internationalen Konflikten. Es ist sehr besonders, dass Freiburg gleichzeitig Partnerstädte in den USA, Israel und im Iran hat. Diese Städtepartnerschaften bieten Raum für Begegnungen für Menschen aus diesen Städten. Dreimal im Jahr finden z.B. Bürgerreisen aus dem Iran nach Freiburg und in umgekehrter Richtung statt.

Es ist toll, dass die Sommeruniversität bei uns in Freiburg Studierende aus Israel, den USA und dem Iran zusammenbringt. Und für unser Start-Up-Treffen im Jubiläumsjahr haben sich kreative Köpfe aus allen 3 Ländern angekündigt – alleine aus Isfahan 20 Start-Ups. Natürlich können Städtepartnerschaften diesen Konflikt nicht lösen. Aber sie leisten einen Beitrag zur Verständigung. Freiburg hat als einzige Stadt in Deutschland eine iranische Partnerstadt. Erst gestern habe ich daher mit unserem Außenministerium telefoniert. Und ich freue mich sehr, dass wir von Berlin intensiv unterstützt werden, unsere Verbindung nach Isfahan nicht aufzugeben, sondern zu intensivieren. Denn gerade in Zeiten, in denen Staaten nur noch übereinander, statt miteinander sprechen, ist eine solche Verbindung von großer Bedeutung.

Eine andere Art von Partnerschaft – eine Klimapartnerschaft – planen wir darüber hinaus mit der Region Cusco im Amazonasgebiet in Peru. Im Sommer brannte dort die Lunge der Welt. Es waren ähnlich große Feuer wie jetzt in Australien. Jede Tonne CO2, die wir in Südamerika einsparen, sparen wir auch hier für uns in Freiburg ein. Denn Klimawandel kennt keine Landesgrenzen.

Für den Kampf gegen den Klimawandel brauchen wir einerseits internationale Zusammenarbeit und starke nationale Initiativen. Und auf der anderen Seite müssen auch wir Kommunen und Städte vor Ort mutig vorangehen. Daher haben wir im letzten Monat ein Klima- und Artenschutz-Manifest für unsere Stadt auf den Weg gebracht. Und wir legen viel Wert auf nachhaltige Mobilitätsangebote. Neben Fahrradwegen wollen wir auch das Straßenbahnnetz weiter ausbauen. Ich freue mich, dass wir im Laufe des Jahres die Verlängerung der Linie 4 in Richtung Industriegebiet Nord in Betrieb nehmen können. Perspektivisch werden wir natürlich auch den neuen Stadtteil Dietenbach an das vorhandene Straßenbahn-Netz anbinden. Aber auch das reicht noch nicht! Daher werden wir noch in diesem Jahr im Gemeinderat über weitere Ausbau-Projekte diskutieren und hoffentlich weitere konkrete Maßnahmen für das neue Jahrzehnt beschließen.

Liebe Gäste, es liegt an uns, wie die Welt von morgen aussehen wird. Und damit meine ich nicht nur Politikerinnen und Politiker. Ich meine damit alle Menschen.

Im vergangenen Jahr haben wir – auf Initiative von Fridays for future – die größte Demo der Nachkriegszeit in unserer Stadt erlebt. Das war wirklich beeindruckend! Jung und Alt haben gemeinsam für mehr Mut und Geschwindigkeit beim Klimaschutz demonstriert. Und eben nicht Jung gegen Alt, wie uns manch einer glauben machen will. Über dieses wichtige politische Engagement für mehr Geschwindigkeit und Mut beim Klimaschutz freue ich mich wirklich ungemein!

Wie soll das Freiburg der Zukunft aussehen? Welche Weichen muss eine Stadt stellen, die sich durch Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, eine leistungsfähige Wirtschaft und eine offene und inklusive Gesellschaft auszeichnet?

An der Beantwortung dieser Frage arbeiten wir im Rathaus jeden Tag. Wir diskutieren, wir planen, wir beschließen, wir korrigieren, wir lernen, wir bauen. Und wir tauschen uns dafür mit den unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteuren aus.

In aller Bescheidenheit: Das macht Freiburg gut. Oft sogar sehr gut. Aber ich glaube, wir sollten uns – bei allen Projekten, bei aller Detailarbeit, bei aller Geschwindigkeit – noch mehr Gedanken über unsere übergeordnete Vision für Freiburg machen. So wie damals beim Münsterbau. Niemand wusste zu Beginn alle Details. Keiner hatte einen Masterplan von Anfang bis Ende mit allen baulichen Einzelmaßnahmen. Generationen von Menschen haben an nur einer einzelnen Bauphase gearbeitet, ohne je das fertige Bauwerk zu sehen. Dennoch war die Vision einer fertigen, einer beeindruckenden Kirche für alle immer klar vor Augen. Das war die Motivation für die Menschen, an unserem Münster zu bauen. Weit über 300 Jahre lang.

Lassen Sie uns daher, meine Damen und Herren,– mit dem Münster als Vorbild – im Jubiläumsjahr das große Ganze noch stärker in den Blick nehmen. Lassen Sie uns an einer Vision für Freiburg arbeiten. Lassen Sie uns im Jahr 2020 über unsere Zukunft nachdenken, diskutieren und die richtigen Weichen stellen.

Meine Damen und Herren, Sie werden es gemerkt haben: Egal ob ich zur Geschichte, zur Gegenwart oder zur Zukunft von Freiburg gesprochen habe. Ein zentrales Motiv war immer eine starke Gemeinschaft. Für gute Lösungen brauchen wir nicht nur fähige Politikerinnen und Politiker, sondern immer auch Sie und Ihre konstruktiven und kritischen Stimmen. Denn das Ringen um die besten Argumente – das ist Demokratie. Die kritische und kontroverse Auseinandersetzung mit Themen hilft uns, als Gesellschaft voranzukommen.

Liebe Gäste, ich lade Sie ein, nein ich fordere Sie auf: Mischen Sie sich ein, machen Sie mit. Aber verlieren Sie dabei nicht das große Ganze aus dem Blick. Zu schnell sind wir nur auf unser eigenes, persönliches Kernthema fokussiert. In einer Welt voller Einzelinteressen, in einer Stadt voller Einzelinteressen gilt es aber auch, nach rechts und links, nach oben und unten und manchmal auch quer zu schauen.

Lassen Sie uns – in diesem Sinne – gemeinsam die Zukunft Freiburgs gestalten: Bürgernah, zukunftsorientiert, sozial, fair, weltoffen und europäisch.

Ich wünsche Ihnen ein gutes, gesundes und erfülltes neues Jahr 2020.

Auf Freiburg! Vielen Dank.


15. Januar 2020
Sperrfrist 18 Uhr
Es gilt das gesprochene Wort