Ausstellung vom 11. Juni bis 31. Juli 2011

luftig...flüchtig

Kuratorinnen-Ausstellung Nicoletta Torcelli

Luft umgibt uns überall. Wir können sie nicht sehen, nicht greifen, und doch wissen wir: dieses flüchtige, formlose Element ist Grundbedingung allen Lebens. Atem, Gravitation, Luftwiderstand, Atmosphäre, Wind, Klima: Wie können diese Begriffe die Phantasie beflügeln? Wie kann man aus Luft Kunst machen? Die Freiburger Ausstellung luftig...flüchtig umkreist diese Frage und möchte damit für diese so wichtige Thematik sensibilisieren. Gezeigt werden 12 Positionen.

Darüber hinaus finden während des Ausstellungszeitraums von luftig...flüchtig weitere Veranstaltungen mit Kooperationspartnern statt; an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum wird die Luftballon-Aktion „Ich ergebe mich“ von Parastou Forouhar präsentiert (siehe Termine Veranstaltungen). Die Künstlerin wird bei Vernissage anwesend sein und steht am Nachmittag der Presse für Interviews zur Verfügung.

Vernissage
Freitag, 10. Juni 2011, 19:00 Uhr

Sponsoren
Pro Helvetia
Sparkasse Freiburg - Nördlicher Breisgau
Villa Staeuli Winterthur

Gespräch
Am Sonntag, 19.06. um 18 Uhr führt Stefan Tolksdorf ein Gespräch mit Kuratorin Nicoletta Torcelli

Begleitveranstaltungen

Kunstaktion „Ich ergebe mich“ der iranischen Künstlerin Parastou Forouhar. Termine siehe unten.

Dienstag, 21. Juni, 20 Uhr, Alter Wiehrebahnhof / Galerie und Café, Urachstraße 40
HörBAR präsentiert: „Ton der Luft“, Hörstück von Werner Cee, der Autor ist anwesend

Dienstag, 5. Juli, 20.30 Uhr, White Rabbit, Leopoldring 1
Talking Pictures präsentiert Videokunst von Bill Viola: Chott el-Djerid (A Portrait in Light and Heat) und Déserts. Anschließend sphärische Soundexperimente mit Dj Nubi Deserts

Samstag, 16. Juli, 19.30 Uhr, Kommunales Kino, Alter Wiehrebahnhof, Urachstraße 40
Dokumentarfilm „Lüber in der Luft“, Künstler anwesend

Parcours durch die Ausstellung

Fotos: Marc Doradzillo
www.doradzillo.de

luftig...flüchtig – die Positionen

Simone Decker

In der Videoinstallation Air Bag (1998) thematisiert die Frankfurterin Simone Decker die Grundlage unserer Existenz: das Luft holen. Auf der Projektionsfläche ist der Kopf der Künstlerin zu sehen, der unter einer durchsichtigen Plastikhülle steckt. Im regelmäßigen Rhythmus atmet sie ein und aus – oder vielmehr schnappt sie nach Luft in ihrer abgeschlossenen Sphäre, reißt den Mund auf, geht bis an die Grenze der physischen Erfahrung - ein sinnliches, verstörendes Werk, das unter die Haut geht. Die Videoarbeit ist eine Leihgabe aus der Sammlung Frac Bourgogne, Dijon.

Parastou Forouhar

Die in Offenbach lebende iranische Künstlerin Parastou Forouhar arbeitet konzeptuell. Sie schafft raffinierte, elegante Muster – doch der Inhalt zeigt Gewalt. Die Installation Ich ergebe mich (2007 / 2011) besteht aus mit Helium gefüllten Ballons, die luftig-schwebend an der Decke hängen. Doch wer genau hinschaut, sieht sich mit Folterszenen konfrontiert. Diese Arbeit, die aus Anlass der Ausstellung luftig...flüchtig mit finanzieller Unterstützung der Sparkasse Freiburg neu aufgelegt wird, wird in Freiburg zusätzlich einige Wochen lang an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum gezeigt. Parastou Forouhar bei "Stimmen aus dem Iran" auf arte

Begleitprogramm
Mittwoch 22. Juni, 18.30 Uhr: Auftakt der Aktion
Mittwoch, 22., bis Montag, 27. Juni: Theater Freiburg, Stein-Foyer, Bertoldstraße 46
Freitag, 24. Juni bis Samstag, 2. Juli: E-WERK Freiburg, Foyer, Ferdinand-Weiß-Straße 6
Samstag, 2., bis Dienstag, 12. Juli: Galerie POST FINE ARTS, Brombergstraße 17 c
Samstag, 2. Juli, 19 Uhr: Eröffnung im Rahmen der Vernissage von "Rundumschläge V"
Do 14., bis So 24. Juli: Alter Wiehrebahnhof, Foyer, Urachstraße 40
Samstag, 16. Juli: Theater im Marienbad, Marienstraße 4, Entschweben der Luftballons beim Mitsommernachttisch

Claire Guerrier

Im Video Alice 7 aus der Reihe Alice ou les petites évasions der in Basel lebenden Französin Claire Guerrier liegt die Protagonistin (Florence Stoll) in einer Badewanne und taucht in eine irritierende Welt ein. Die Wasseroberfläche füllt sich mit Luftblasen und gerät in Aufruhr, begleitet von einem Soundtrack, der an Sirenengeheul erinnert: Das Schwinden der Sinne wird leibhaftig erfahrbar. In den Luftblasen spiegelt sich das Gesicht der Performerin wider, vervielfacht, gebrochen - wie in einem ephemeren Spiegel, der kaum entstanden, in Auflösung begriffen ist. Ein metaphorisches Bild über die fließende Grenze von Werden und Vergehen.

Kanoko Hashimoto

Die in Stuttgart lebende Japanerin Kanoko Hashimoto erkundet die Basis unserer Existenz: Die Flüchtigkeit des Seins, die Einzigartigkeit des Augenblicks und den Menschen als Teil des Kosmos. Die 30-teilige Arbeit 8,67 e-8km2 aus der Serie heiter (2008 – 2010) besteht aus monochromen blauen Bildern: Luftbilder, die sie nur bei heiterem Wetter malt. Dahinter steckt ein Konzept. Das blaue Rechteck repräsentiert die endlose Luftsäule, der sich über einem auf der Erde stehenden Menschen auftut – es steht für die Schwerkraft, die uns an die Erde bindet. Das individuelle Maß eines jeden Bildes wird von der Grundfläche stehender Personen abgeleitet. Minimalistische Klarheit und schwebende Poesie: jedes Bild ist Ausdruck der Schwerkraft, die auf uns lastet – ebenso ein kleines Stück Himmel, von aller Last befreit.

Hans Hemmert

Die Arbeiten des in Berlin lebenden Künstlers Hans Hemmert sind von subtilem Humor durchzogen. Die amorphe Blase wird bewohnbar gemacht, ihre Flexibilität und Innenperspektive werden erkundet. Die Videos und Fotografien aus der Reihe Heimordnung / Home Frame (1998) basieren auf Performances, bei denen knallgelbe Luftballons den Künstler vollständig umhüllen. Seine Bewegungen geraten so zur Groteske: zu witzigen Ausstülpungen des Seins. Kann man sich bei Betrachten eines Schmunzelns kaum erwehren, so lässt sich auch der Ernst der Lage erkennen: der Luftballon wird zum autistischen Lebensraum. Die Atemluft ist da - aber nur für eine gewisse Zeit. Ohne Austausch mit der Außenwelt kollabiert das System.

Christoph Keller

Der ebenfalls in Berlin lebende Christoph Keller ist ein Grenzgänger zwischen Kunst und Naturwissenschaft. In der Fotoarbeit The grids of the Chemtrails (2007) thematisiert er die kollektiven Spekulationen, die zu Verschwörungstheorien führen. Die Arbeit besteht aus Found Footage: Internetfotos von Flugkondensstreifen, von Wissenschaftlern ins Netz gestellt, die geheime Klimaexperimente wittern. Sie glauben, dem Kerosin werde Barium und Aluminium beigemengt, um durch die ausgelöste Wolkenbildung der Erderwärmung entgegenzuwirken. Beschwörung oder Verschwörung? So oder so, dahinter steckt eine weitere Frage. Was kann überhaupt sichtbar gemacht werden, und was bleibt dem Blick prinzipiell verborgen?

Simin Keramati

Die Kunst der Teheranerin Simin Keramati ist doppeldeutig, um vor der Zensur zu bestehen. Im Video Wind (2007) aus dem Zyklus zu den vier Elementen verarbeitet sie die Situation der iranischen Intellektuellen nach den sogenannten „Kettenmorden“, die auf Anweisung höchster Stelle in den 1990er Jahren ausgeführt wurden. Auch die Eltern von Parastou Forouhar fielen diesen gezielten Tötungen zum Opfer. Das Video zeigt eine einzelne Feder auf schwarzem Hintergrund. Obwohl zu hören ist, dass der Wind tobt, bleibt sie regungslos, sie zittert nur ganz leicht: Zeichen der Angststarre und Tatenlosigkeit, die die schreibende Zunft erfasst hat. Die Feder, in früheren Zeiten ein Medium der Niederschrift, hat ihre Macht verloren, Gedanken zu transportieren. Die Denker sind zum Schweigen verurteilt.

Reinhard Klessinger

Der Zeichner und Bildhauer Reinhard Klessinger aus Ihrigen am Kaiserstuhl thematisiert den Akt der Wahrnehmung als Spannungsverhältnis: Als Gewahrwerden der unüberbrückbaren Differenz zwischen dem Selbst und dem Gegenüber, und dem gleichzeitigen Versuch der Annäherung. In den Bildern aus der Werkgruppe Doppeltes Atemfeld (2010) sind auf transparentem Glas und Papier subtile Oberflächen entstanden, Kraftfelder, verdichtete Momente, individuelle Zeichen, oder, so wie sie der Künstler nennt, Atemfelder. Die Luft bleibt beim Atemvorgang in der Regel unsichtbar - es sei denn, sie kondensiert. Diesen Hauch hält der Künstler fest – zur Form geronnen, farbig materialisiert, verschwebend, verhauchend.

Heinrich Lüber

Für den Schweizer Performancekünstler Heinrich Lüber ist Kunst ein Ort der Möglichkeit. In seinen Aktionen im öffentlichen Raum kann er sich stundenlang „in der Schwebe“halten: an Fassaden festsaugen oder in der Luft hängen. Dieses Ausharren in absurden Situationen wird durch raffinierte Apparaturen ermöglicht. Das Gesetz der Statik wird so – wenn auch nur scheinbar - außer Kraft gesetzt, der Luftdruck, der für Bodenhaftung sorgt, wird spielerisch überwunden. In der Ausstellung werden Fotografien gezeigt, die einige seiner Performances dokumentieren. Der Dokumentarfilm Lüber in der Luft, der ihre Entstehung detailliert veranschaulicht, wird im Kommunalen Kino Freiburg in Anwesenheit des Künstlers vorgeführt.

Cristina Ohlmer

Die Freiburgerin Cristina Ohlmer thematisiert mit immer neuen Materialien und Techniken die Fragilität des Seins: Das Erscheinende und Verschwindende, die fließende Grenze von Immaterialität und Substanz. In ihrem ästhetischen Forschungslabor ist 2011 die Serie Mal Zen: Luft entstanden. Die Künstlerin hat Glasscheiben waagrecht ins Lot gesetzt und mit einem breiten Kalligraphiepinsel wässrige Tusche bis an die Kanten aufgetragen, dann hat ein Ventilator tagelang Luftstrom über die Farbwasserfläche gefächert. Ohlmer hat den Boden bereitet, mit seinem „Atem“ hat der Propellerwind das malerische Werk fortgesetzt. Die Tusche ist als Hauch auf der Scheibe zurückgeblieben – als Spur aus Schichtungen, Verschiebungen und Verdrängungen. Die Produktion dieser Arbeit wurde von der Villa Straeuli Winterthur finanziell unterstützt.

Marco Schuler

Ausgangspunkt der Kunst des im Markgräflerland lebenden Marco Schuler ist häufig sein eigener Körper, verbunden mit der Neugier am nicht kalkulierbaren Ausgang. Was berührt mich? Was treibt mich an? Wo liegen die Grenzen? Eine slapstickartige, skurrile Komponente zeigt sich im Video Schuler zieht sich an (2000). Im Windkanal der ETH Zürich zieht er sich bei 110 km/h Windgeschwindigkeit an. Indem er sich gegen den Wind auflehnt, kämpft er um den aufrechten Gang. Er agiert mit allen Mitteln gegen eine Kraft, die alles mit sich reißt. Er stemmt sich gegen den Sturm. Das lässt an den Angelus Novus von Walter Benjamin denken: an den Sturmwind des Fortschritts, der uns entgegenweht - und unaufhaltsam eine Katastrophe nach der anderen produziert.

Roman Signer

Der Schweizer Roman Signer versteht sich als Bildhauer von "Ereignissen", ebenso als Spieler und Tüftler. Mit seinem dynamischen Werkbegriff setzt er auf das Energiepotential der Natur. Seine Materialien sind die Elemente Wasser, Feuer, Luft, Erde und Alltagsgegenstände wie Leiter, Eimer, Holzkisten und Schnüre. Was herauskommt, kann spektakulär, aber auch lakonisch, witzig-poetisch sein. In der Installation o. T. (2005) dient ein vier Meter langes, schmales Stahlbecken als Auffanglager für Wasser. An einem Ende steht ein Ventilator: Die Luftzufuhr versetzt die Wasseroberfläche in Bewegung und beschleunigt den natürlichen Verdunstungssprozess, die Phasenumwandlung vom flüssigen zum gasförmigen Aggregatzustand. Eine augenzwinkernde Hommage an den Transformationsprozess der Natur, dessen Teil wir sind. Diese Arbeit wird vom Sammler Hans Rohr, Baden (CH) freundlicherweise zur Verfügung gestellt, die Basler Galerie Stampa sorgte für die Vermittlung