Freiburger Fußballgeschichte auf 16 Quadratmetern

Freiburger Sammlungen

Vorsichtig nimmt Uwe Schellinger sein Lieblingsobjekt des Archivs des SC Freiburg aus einem Archivkarton. Der blank polierte Pokal schimmert, „TURNIER des Verbands Freiburger Fußballvereine, Juli 1909“ verrät die Gravur seinen Ursprung. Der Pokal ist das älteste Objekt im Archiv des SC Freiburg und sagt, so Schellinger, der dort ehrenamtlich als Archivar tätig ist, etwas über die Fußballgeschichte der Stadt Freiburg aus.

Das Turnier, zu dessen Anlass der Pokal 1909 angefertigt wurde und woran alle Freiburger Vereine teilnehmen sollten, hat nie stattgefunden. Grund dafür war die Rivalität zwischen den vielen kleinen Vereinen, die damals, laut Schellinger, „wie Pilze aus der Erde schossen“, und den größeren Vereinen – etwa dem Freiburger Fußballclub (FC) oder Freiburger Fußballverein von 1904, einem Vorläufer des SC.

Der Freiburger FC, der 1907 Deutscher Meister wurde, dominierte lange Zeit das Fußballgeschehen in der Stadt, heute spielt der Verein in der Verbandsliga Südbaden. Der SC Freiburg stand jahrelang im Schatten des FC, erst 1978 ist er zum ersten Mal in die zweite Bundesliga und damit in den Profifußball aufgestiegen. „Der Pokal deutet auf die damalige Vielfalt der Fußballvereine in Freiburg hin, die heute teilweise gar nicht mehr existieren und damals versuchten, sich zu positionieren“, erklärt der Historiker, der selbst großer SC-Fan ist. Das geplante Turnier von 1909 zeigt: Zum Fußball gehört eine gewisse Rivalität. Die geplante Gründung einer Freiburger Interessengemeinschaft der Fußballvereine hat damals nicht funktioniert.

Das Vereinsarchiv des SC unter der Südtribüne des Schwarzwaldstadions misst nur 16 Quadratmeter. Auf dichtem Raum sind dort Zeugnisse der Clubgeschichte untergebracht. Einen großen Teil der Sammlung machen etliche Vereinszeitschriften aus: Seit 1923 gibt es die Hefte, die früher einen vertieften Einblick ins vielfältige Vereinsleben geben sollten – „Da wurde auch berichtet, wenn die Frau vom zweiten Vorstand Geburtstag hatte“, berichtet Schellinger schmunzelnd –, sich seit den 1990er Jahren jedoch fast ausschließlich auf den jeweiligen Spieltag beziehen. Interessant ist, welche Rückschlüsse sich aus den alten Vereinszeitschriften auf die Persönlichkeiten des Vereins ziehen lassen: In den 1920er und 1930er Jahren beispielsweise inserierten dort viele Spieler des Sportclubs Firmenanzeigen – denn sie spielten nur in ihrer Freizeit Fußball, hauptberuflich unterhielten sie Geschäfte, für die sie in den Heften warben: Metzgereien, Elektrogeschäfte, Bäckereien.

Auch zahlreiche historische Fotografien gehören zu den Schätzen des Archivs: „Man grübelt, wer auf einem Foto abgebildet ist und bei welcher Gelegenheit es aufgenommen wurde – so kann man viel über den Verein lernen“, erklärt Uwe Schellinger. Aus den 1920er Jahren gibt es viele Fotos, während aus der Nachkriegszeit aus den 1950er und 1960er Jahren weniger existiert. In diesen Jahren war der SC nicht besonders erfolgreich, außerdem ging im Laufe der Jahre vieles verloren. „Seit der SC in der Bundesliga spielt explodiert die Sammlung an Fotos“, so Schellinger. „Von jeder Spielszene entstehen mindestens zehn Fotos.“

Von einigen Spielern und Verantwortlichen des Vereins sind Nachlasssplitter erhalten geblieben: Fotoalben, Tage- und Erinnerungsbücher. Für Schellinger ist ein Protokollbuch aus dem Nachlass des jahrzehntelangen SC-Präsidenten Achim Stocker besonders interessant. Stockers Witwe fand das handschriftlich geführte Buch vor drei Jahren und übergab es dem Verein. Darin protokolliert ist die Zeit zwischen 1912 und 1919; die Kladde dokumentiert, wie man den Ersten Weltkrieg als Fußballverein erlebte und wie man danach weitermachte. Achim Stocker spielt für die Geschichte des Sportclubs nicht nur deswegen eine große Rolle, weil er mehr als 35 Jahre als Vereinspräsident tätig war. Sein Tod im Jahr 2009 sorgte zudem dafür, dass die Verantwortlichen sich der Relevanz eines Archivs bewusst wurden. Denn das Erbe des „SC-Übervaters“ sollte in Ehren gehalten werden, die „Ära Stocker“ durfte nicht in Vergessenheit geraten.

Wie steht es um die Erinnerungskultur des Fußballvereins? Uwe Schellinger geht davon aus, dass es schon in den 1920er Jahren eine Art Vereinsmuseum gegeben haben muss, das im Zuge des Novemberangriffs auf Freiburg 1944 zerstört wurde – diverse Hinweise in den Vereinszeitschriften aus jener Zeit deuten auf die Existenz einer Sammlung hin. Was sich dann in der Nachkriegszeit angesammelt hatte, landete bei diversen Umzügen der Geschäftsstelle im Container. Zum 100-jährigen Vereinsjubiläum 2004 war kaum etwas vorhanden.

Dies war ein Anlass für Peter Martin, damaligen Ältestenratsvorsitzender, sich der Geschichte des Sportclubs zu widmen. Das langjährige SC-Mitglied brachte dafür in seinem Ruhestand sehr viel Zeit auf: Er begab sich auf die Suche nach Objekten, rief die Freiburger Bevölkerung auf, dem Verein Sammlungen zur Verfügung zu stellen und sortierte, was übrig war. „Er klaubte zusammen, was er bekommen konnte. Denn eine richtige Sammlung gab es bis dato ja noch nicht“, so Schellinger.

Das Geschichtsbewusstsein des Vereins war nicht stark ausgeprägt, da man sich nie als besonders erfolgreich betrachtet hatte. Man habe ja nichts zu präsentieren – nicht besonders viele Siegertrophäen, keine Meisterschale, so fand man. „Obwohl man das meines Erachtens nicht braucht, um interessante Fußballgeschichte zu schreiben“, erklärt Schellinger.

Die Geburtsstunde des aktuellen Vereinsarchivs lässt sich also etwa hundert Jahre nach der Vereinsgründung datieren. Nach seinem Tod 2006 hinterließ Peter Martin unter der Südtribüne rund fünfzehn Aktenordner, einige Objekte – und ein recht undurchsichtiges Ordnungssystem. Uwe Schellinger, der seit 2011 für das Archiv zuständig ist, brauchte eine Weile, um sich dort zurechtzufinden. Nach Peter Martins Tod lag das Archiv zunächst einmal wieder brach. Erst Jörg Weber, aktueller Ehrenratsvorsitzender und Weggefährte von Stocker, lag sehr viel daran, die Geschichte des Vereins zu pflegen. So kam es, dass er Uwe Schellinger im Jahr 2011 kontaktierte, der schon früher einmal seine Mithilfe angeboten hatte.

Als Historiker interessiert sich Uwe Schellinger schon lange für Fußballgeschichte und beschäftigt sich gerne mit der Frage, wie ein Verein wie der SC mit seinen Hinterlassenschaften umgeht – vor allem, da der Fußball ein so schnelllebiges Geschäft geworden ist. Nach und nach versucht er, das Archiv zu professionalisieren. Obwohl Schellinger das SC-Archiv ehrenamtlich betreut, setzt er sich dafür ein, eine repräsentative Sammlung zu etablieren. Er pflegt Kontakte zu den Verantwortlichen in der Geschäftsstelle, zur Freiburger Fanszene – erst kürzlich konnte er beispielsweise die jahrzehntealte Fankutte eines Herzblutfans fürs Archiv gewinnen – und zu Schlüsselfiguren des Sportclubs. Eine Anekdote, die der Archivar gerne erzählt, steht symbolisch für die jüngste Geschichte des Vereins. Es war der 25. Spieltag in der zweiten Bundesliga, der 7. März 2016, als der SC Freiburg gegen den RB Leipzig spielte. Für den SC war diese Partie einerseits ein großer Schritt in Richtung Aufstieg, außerdem trafen hier zwei gegensätzliche Fußballideologien aufeinander – der SC, ein gewachsener Traditionsverein und RB, ein ganz junger Verein ohne große Tradition, gesponsert von Red Bull – „Fußball aus der Dose“ hieß es in den Medien. An diesem Spieltag schneite es überraschend stark in Freiburg, der Platz war glatt und es war eine Rutschpartie – im wahrsten Sinne des Wortes. Schellinger wollte unbedingt ein Andenken an dieses besondere Spiel Als er beobachtete, wie vor dem Spiel und in der Pause jemand auf dem Platz Schnee geschippt wurde kontaktierte er direkt den Mannschaftsbetreuer, damit dieser alle SC-Spieler auf einer Schneeschaufel unterschreiben ließ – heute lehnt diese Schaufel aus dem RB-Spiel im Archiv an der Wand. Weitere stadtgeschichtliche Objekte: während der Stadiondebatte in ganz Freiburg Plakate hingen – Pro und Contra neues Stadion – fuhr Schellinger nach der Wahl umher und sammelte Plakate ein, um dieses wichtige Ereignis der Vereinsgeschichte gut dokumentiert zu wissen.

„Im Moment ist es die Hauptaufgabe, den kleinen Raum bestmöglich zu nutzen“, erklärt er. Er hofft auf mehr Ablagefläche im neuen SC-Stadion am Wolfswinkel. Auch eine museale Präsentation wär wünschenswert. Momentan läuft der Architekturwettbewerb für den Stadionbau und Ende des Jahres sollen die ersten Bagger rollen – Uwe Schellinger freut sich darauf, doch bis dahin bleibt die Vereinsgeschichte des Sportclubs auf 16 engen Quadratmetern untergebracht.

Gespräch: Uwe Schellinger mit Sonja Thiel Text: Lisa Blitz Fotos Lisa Blitz

Foto: Lisa Blitz
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Veröffentlicht am 22.05.2017